„Wir machen unser Ding“

Go West: Kunst und Kultur besetzen „Auf AEG“ das ehemalige Fabrikareal. Die heutigen Besitzer staunen über den „enormen Vertrauensvorschuss“.
von  Abendzeitung
Aufschwungshoffnungen für einen ganzen Stadtteil: Projektentwickler Bertram Schultze (39) auf dem Dach der ehemaligen AEG, kurz „Auf AEG“.
Aufschwungshoffnungen für einen ganzen Stadtteil: Projektentwickler Bertram Schultze (39) auf dem Dach der ehemaligen AEG, kurz „Auf AEG“. © Berny Meyer

NÜRNBERG - Go West: Kunst und Kultur besetzen „Auf AEG“ das ehemalige Fabrikareal. Die heutigen Besitzer staunen über den „enormen Vertrauensvorschuss“.

Es geht aufwärts. Im wahrhaft geräumigen Lastenaufzug für deutsche Qualitätsprodukte. Der bleibe zwar immer wieder mal kurz stehen, verrät Bertram Schultze lächelnd, aber kein Grund zur Panik. Einfach am Drücker bleiben. So etwas scheint dem 39-Jährigen, der in Ostafrika und Hersbruck aufwuchs, in Nürnberg ein paar Semester Architektur studierte und dann in Leipzig Immobilienwirtschaft, ohnehin zu liegen. Es geht in den sechsten Stock und dann weiter aufs Dach, mit Fernblick bis hin zu Business-Tower und Moritzberg. Und Nahsicht über Dachkante und das ehemalige AEG-Areal. So groß wie 800 Tennisplätze, mit 130000 Quadratmetern Stauraum. 10 Millionen soll die MIB Fünfte Investitionsgesellschaft, für die Schultze in Nürnberg der kaufmännische Leiter ist, auf den Konzerntisch von Electrolux gelegt haben. Schwindelgefühle sind da so oder so fehl am Platze. „Man muss seine Arbeit ernsthaft machen“, sagt Schultze, „und Spaß daran haben, dann fällt es leichter, erfolgreich zu sein.“

In Deutschlands wildem Osten landeten diese „Projektentwickler“ mit der Leipziger „Spinnerei“ einen Volltreffer mit Kunst-Schlagkraft. In Nürnbergs wildem Westen wird momentan an der Fortsetzung des Erfolgsmodells gebaut. „Auf AEG“ – wie das Areal vatikanischen Ausmaßes zwischen Fürther und Muggenhofer Straße nun nach Sicherung der Markenrechte heißt. Was nach Ansicht Schultzes nicht nach Schalke weist, sondern durchaus nach Nürnberg: „Man geht auch auf Arbeit in Franken.“

Der "Lange Dallmann" bleibt

Auf Schritt und Tritt begegnen dem Besucher Relikte des Schichtbetriebs. Im Gang der ehemaligen Chefetage, wo jetzt Bertram Schultze und seine Ingenieure und Vermarkter logieren, ruhen auf einer Sanitätsliege AEG-Prospekte und -Handtücher. Darunter prähistorische Heizlüfter und Gebotsschilder. Basismaterial für ein kleines Museum, das hier auch mal entstehen könnte. AEG – auf Abruf. Das Gelände, das da aus Image-Ruin aufersteht und einen neuen Charakter mit Innenhöfen und Durchsichten erhält, soll als solches auch bei seiner geplanten „heterogenen Entwicklung“ erkennbar bleiben: „Wir wollen Zitate und Objekte aus der Vergangenheit erhalten und betonen.“ So bleiben Wirtschaftswunder-Architektur (als Raster) und auch der „Lange Dallmann“ erhalten, das Förderband-Gehäuse, das über die Muggenhofer Straße hinweg Süd- und Nordkomplex verbindet.

Ob „Auf AEG“ ähnliche Strahlkraft entwickelt wie in Leipzig, wo das dortige Backsteinareal zum Symbol der Leipziger Schule mit Shooting Star Neo Rauch an der Spitze wurde, will Schultze erst mal abwarten. Zunächst zeigt er sich überrascht, dass das 2007 gestartete und auf fünf, sieben Jahre Umbau angesetzte Unternehmen „gigantisch an Fahrt aufgenommen“ hat: „Ich habe mir nicht vorgestellt, dass es so gut läuft.“ Electrolux, dessen Showroom schon Leuchtsignale sendet, und Siemens als Großmieter schaffen erste finanzielle Freiräume.

Was Kunst bewegen kann

Einen „enormen Vertrauensvorschuss der Kreativen“ registriert Schultze und erklärt sich das mit dem „Spinnerei“-Modell. Go West heißt es jedenfalls unter den Kunst-Lemmingen. 67 Ateliers sind bereits vermietet. Fred Ziegler und Christoph Gerling, André Debus und Sebastian Kuhn werden gelockt durch günstige Warmmieten von 3,50 Euro, die Hälfte dessen, was andere Nürnberger „Mäzene“ verlangen. Als solche, gar als „Wohltäter“, begreifen sich die „Kaufleute“ nicht, sondern als „kunst- und kulturinteressiert“. Ein USA-Besuch öffnete Schultze, der in Leipzig eine eigene Galerie hat und „in meinen Möglichkeiten“ Kunst sammelt, die Augen: „Ich habe dort gesehen, was Kunst bewegen kann, wenn sie richtig organisiert ist.“

Analog zur „Spinnerei“, die „Standort des internationalen Kulturtourismus und gleichzeitig Ort der Heimatbildung“ wurde, soll nun Nürnberg „was Eigenes“ entwickeln – „authentisch und nicht aufgesetzt“. Die „Comedy Lounge“ des Matthias Egersdörfer (wieder heute bei „Meister Robrock“) und die Ausstellungshalle „Zentrifuge“ des Michael Schels sind erste „Schritte“. Die „Kulturwerkstatt“ des Amts für Kultur und Freizeit wird folgen. Handel, Design, Gastronomie wie das Il Nuraghe und der italienische Bäcker aus der Südstadt. Nur keine Ketten, keine Schablonen. Dafür lieber ein Café in der ehemaligen Pförtnerwache und „Individualisten, die eine Qualität ausweisen“.

Entwicklungsfaktor für ganz Muggenhof?

Trotz Krise, die man „weiß Gott nicht gebraucht“ hätte, seien hier „die richtigen Leute mit dem richtigen Projekt zur richtigen Zeit am richtigen Ort“. Und „ein geballtes Angebot zieht auch geballte Anfragen nach sich“, ist sich Schultze sicher. Denn „Städte , die kreativ sind, haben ein großes kulturelles Angebot“. Fachhochschule und Kunstakadmie nutzen demnächst hier Räume. „Auf AEG“ will ja auch „Heimat für die Kunstproduktion“ sein. Schultze hofft, dass sich „Kunstpräsentation und -handel“ – wie in Leipzig – aus- und aufbauen lassen. Und auf dem Gelände könne man „große Schritte gehen“: „Das könnte auch als Entwicklungsfaktor für ganz Muggenhof funktionieren“.

Mit dem Ausbau des KunstKulturQuartiers will die Berlin-Leipziger MIB, deren Macher überwiegend aus Würzburg stammen, „nicht konkurrieren“: „Wir machen jetzt einfach unser Ding – und dann sehen wir mal“. Andreas Radlmaier

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