Wende im Mordfall Peggy - Kronzeuge: Ich habe gelogen!
AZ exklusiv: Mithäftling Peter H. behauptet, er sei von der Polizei zur Falschaussage gedrängt worden – er hatte den geistig behinderten Ulvi K. (30) stark belastet!
BAYREUTH Sensationelle Wende im Mordfall Peggy! Ein wichtiger Zeuge, der wesentlich dazu beitrug, dass der geistig behinderte Gastwirtssohn Ulvi K. (30) zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, erhebt schwere Vorwürfe gegen die Polizei. In einer eidesstattlichen Versicherung, die der AZ vorliegt, behauptet er, von Beamten der Soko mit falschen Versprechungen zu einer folgenschweren Falschaussage gedrängt worden zu sein. Muss jetzt der ganze Fall komplett neu aufgerollt werden?
Peter H. (52), ein vor Kraft strotzender Zimmermann aus Hof, sitzt seit Sommer 2001 im Bezirkskrankenhaus Bayreuth. Sein notorischer Hang zu Einbrüchen und Diebstählen, Drogen, Alkohol und die Diagnose eines Gehirntumors haben ihn für so lange Zeit dorthin gebracht.
Die mit der unheilvollen Mixtur verbundenen Psychoprobleme sind inzwischen so weit abgeklungen, dass Peter H. die Nachmittage in Freiheit verbringen darf und seine endgültige Entlassung ins Auge gefasst wird. Das ändert nichts daran, dass der Tumor unaufhaltsam wächst. Peter H. entwickelt bei der Schilderung seines Zustandes trotz allem geradezu stoische Gelassenheit: „Irgendwann ist es vorbei. Aber bis dahin will ich noch ein bisschen was von meinem Leben haben.“
Vor allen Dingen aber will Peter H. reinen Tisch machen. Den Anfang dazu hat er vor zwei Wochen gemacht, als er seinen ganzen Mut zusammennahm und in der Cafeteria eines Supermarktes einem Ehepaar gegenüber trat. Es waren die Eltern von Ulvi K.! Sie bat er um Verzeihung. Bei der Polizei und im Prozess hatte Peter H. nämlich ausgesagt, dass Ulvi ihm den Mord gestanden habe. Der Gastwirtssohn war damals zusammen mit ihm in der gleichen Station des Bezirkskrankenhauses untergebracht.
Haben die Soko-Beamten mit unlauteren Mitteln gearbeitet?
Doch jetzt offenbart Peter H.: „Herr K. hat mir gegenüber nie ein derartiges Geständnis abgelegt (…). Er hat mir den Mord nie gestanden.“ Ein Hammer! Der Frankfurter Rechtsanwalt Michael Euler, der seit geraumer Zeit mit der Vorbereitung eines Wiederaufnahmeverfahrens beschäftigt ist, ist geradezu elektrisiert: „Die Verurteilung von Ulvi stützte sich auf drei Säulen: sein unter fragwürdigen Umständen zustande gekommenes und widerrufenes Geständnis, ein diskutierbares Glaubwürdigkeitsgutachten – und die Aussage von Herrn H. Diese Säule ist jetzt weggebrochen.“ Für den Anwalt ist die Schlussfolgerung klar: „Das Verfahren muss wieder aufgenommen werden. Polizei und Justiz haben zu viele Fehler gemacht.“
Rückblende: Seit Mai 2001 ist die neunjährige Peggy Knobloch aus Lichtenberg (Oberfranken) spurlos verschwunden. Gut ein Jahr später präsentierte die Polizei den geistig zurückgebliebenen Ulvi K. als Mörder des Mädchens, dessen Leiche bis heute nicht gefunden wurde. Nach einem endlosen Marathon-Verhör hatte der minderbemittelte Mann (IQ 67) die Tat gestanden – und kurz darauf widerrufen. Obwohl es keinerlei Tatortspuren oder gar direkte Augenzeugen gibt, wurde Ulvi K. vom Landgericht Hof wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Entscheidung stieß angesichts der dürftigen Beweislage bundesweit auf Kritik.
Eine Initiative, der sich mehr als 1000 Bürger aus Lichtenberg und der Region anschlossen, kämpft seit Jahren um eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Die Verantwortlichen an der Spitze der Initiative behaupten, dass Ulvis Geständnis von Soko-Beamten mit unlauteren Mitteln herbeigeführt wurde. In diese Kerbe schlägt jetzt auch Peter H.. In seiner Erklärung heißt es unter anderem: „Die Soko-Mitarbeiter stellten mir immer wieder Hafterleichterungen, ein mildes Urteil in meiner Strafsache und eine schnelle Haftentlassung in Aussicht, wenn ich bereit wäre, zu bestätigen, dass Herr K. mir die Tötung von Peggy Knobloch gestanden hätte (...). Dabei wurden mir von den Beamten Behauptungen und Formulierungen in den Mund gelegt, die ich so nicht gemacht habe.“
Am Ende der Erklärung schreibt Peter H.: „Herr K., an dessen Verurteilung wegen Mordes ich durch meine Falschaussage beigetragen habe, tut mir leid. Mir gegenüber hat er den Mord an Peggy Knobloch nicht gestanden.“
Helmut Reister