Warenprobe mit Wackel-Po
FÜRTH - Eines haben die acht Solisten von „Hubbard Street 2“ aus Chicago, die zum zweiten Mal im Fürther Kulturforum gastieren, mit den stets etwas repräsentativer im Stadttheater platzierten Junioren des Nederlands Dans Theaters gemein – sie reisen auf „Nachwuchs"-Ticket und sind doch längst übers Azubi- Format hinaus.
Was die Technik betrifft, kann ihnen keiner mehr was vormachen. Aber vor lauter Farbenvielfalt haben sie offenbar keine Zeit, ihr eigenes Profil zu schärfen. Die Fast-Alles-Könner – für vier Wochen auf Deutschland-Tour – streuen Warenproben. Aber wollen sie denn irgendwohin? Anders als bei den Holländern, wo unter Choreograph Kylian auch die Jungen immer Chefsache waren, arbeitet die Chicago-Compagnie mit ihren derzeit auf die Altersspannweite zwischen 17 und 25 festgelegten Groß-Talenten nach einem Generations-System. Alljährlich können sich per Video- Beleg ambitionierte Nachrücker bewerben und von weit über hundert Proben bleiben dann drei Choreographen für den Hoffnungslauf mit dem Team.
Man ist also bei allen Beteiligten nach Alter und Erfahrung auf Augenhöhe, und die Jugend ist forsch. Die damit verbundene Gefahr, schnellstmöglich schlichtweg alles ausprobieren zu wollen, zieht sich wie ein roter Faden durch das Fürther Gastspiel. Es begann am ersten Abend (am dritten und vierten wird das Programm neu gemischt) mit der hektischen Klassik- Demo „The Restless“, bei der Christian Spuck 2005 sechs Tänzer durch Violinschlüsselerlebnisse einer Bach-Sonate jagte als ob er AltmeisterHeinz Spoerli eine Bewerbungsunterlage schicken wollte.
Hoffnungsträger für Stuttgarts Erneuerungsversuche
Spuck ist inzwischen ein Hoffnungsträger für Stuttgarts Erneuerungsversuche und über diese Konstruktion mehrere Stufen hinweg. Aber sie taugt als Standardsituation und Kontrastmittel, denn wie in einem Wechselbad folgteHarrison McEldowneys Sieben- Minuten- Musical-Comedy mit Wackel- Po, und deren souveräner Revue-Schlenker verbandelte sich in den späteren Stücken, die in ihrem knapp gehaltenen Format bis 10 Minuten leider eben Stückchen bleiben, mit allen denkbaren Stilen. Da scheint eine Pfütze vom Schwanensee für etwas Eisrevue zu gefrieren, sprengt sich die Ballett- Tradition mit Ausdrucks-Zündung scheinbar selber ins Tanztheater hinein. Dort steckt im aufbrauchbaren Energie-Stoß „Pulse“ von Amy Raymond ein imposant dynamischer Entwurf zeitgenössischer Bewegungs-Sprache.
Dennoch war es nicht diese Europa-Premiere, die das Publikum von den Sitzen hob, sondern der mit 15 Minuten längste Beitrag, bereits vor vier Jahren von Brian Enos in den rhythmischen Worldbeat- Sog von Zap Mama geradezu hineingestanzt und seit dem Vorjahr kongenial von „Hubbard 2“ adaptiert. Da stürmt der Tanz, der sich in diesem Programm dem Bach ähnlich eifrig zuneigt wie dem nächstbesten Clip am Bett von Madonna, endlich ohne sichernde Seitenblicke ins Zentrum seiner Selbstverantwortungs- Inspiration. „Hubbard Street 2“ kann alles – und jetzt sollten die triumphierenden Acht auch noch den Sprung aus derWundertüte wagen.
Dieter Stoll
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