Waidmanns Heil! Halali im Altmühltal

Seit sich in Bayerns Wäldern die Wildschweine vermehren wie die Karnickel, müssen sie verstärkt gejagt werden – ein AZ-Reporter hat eine Treibjagd in Kasing bei Ingolstadt begleitet
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Waidmanns Heil! Die Jäger blasen mit ihren Hörnern zur Jagd, ein uraltes Ritual.
Mike Schmalz Waidmanns Heil! Die Jäger blasen mit ihren Hörnern zur Jagd, ein uraltes Ritual.

Seit sich in Bayerns Wäldern die Wildschweine vermehren wie die Karnickel, müssen sie verstärkt gejagt werden – ein AZ-Reporter hat eine Treibjagd in Kasing bei Ingolstadt begleitet

Ein feierlicher Ernst liegt in der Luft an diesem Samstagmorgen. Die 40 Jäger begrüßen sich, mustern ihre Gewehre, prüfen die Patronen. Dann zieht jeder die orangefarbene Signalkleidung an. Die Hunde sind schon ganz aufgeregt und ziehen wie verrückt an den Leinen. Was für die Jäger Routine ist, ist für den AZ-Reporter eine Premiere: eine Wildschwein-Treibjagd bei Kasing im Altmühltal in der Nähe von Ingolstadt.

„Die Wildschweinbestände sind in den letzen Jahren immer weiter gestiegen“, erklärt Peter Smischek, der Vorsitzende des Jagdschutz- und Jägervereins Ingolstadt (siehe Kasten). „Seit 2008 führen wir ein bis zwei Mal im Jahr gezielt Treibjagden durch.“ Eine kleine Ansprache, Jagdscheinkontrolle, dann erklärt Smischek die Regeln. Schnell wird klar: Das hier ist kein Spiel. Es wird scharf geschossen und das kann, wenn man nicht aufpasst, böse ins Auge gehen.

„Wir greifen uns 14 Hektar vom Gesamtrevier heraus,“ führt Smischek aus. „Die Jäger umstellen das Dickicht, die Treiber gehen mir ihren Hunden in den Kessel.“ Sie sollen die Wildschweine aus dem Dickicht heraustreiben. Rasen die Säue aus dem Wald, erledigen die Jäger sie. Es wird nur nach hinten geschossen und nicht in das Dickicht selbst. „Da sind die Treiber und die Hunde, das wäre viel zu gefährlich!“ warnt Smischek.

Drei Jäger blasen feierlich das Horn, der Trupp bezieht Stellung. Cheftreiber Andreas Naumann hat seine drei tierischen Helfer Gustl, Ronja und Zilly mitgebracht. Er vertraut ihnen völlig, die vier sind ein eingeschworenes Team.

Vor dem Dickicht werden die insgesamt vier Treiber still. Kranken oder alten Tieren, die sich nicht mehr hetzen lassen, machen sie gleich an Ort und Stelle den Garaus. Nur der Cheftreiber und eventuell ein anderer Ortskundiger dürfen mit Gewehr und Messer töten. Hier ist es der Jagdpächter, der mit uns ins Gestrüpp geht. Noch ein Hornsignal – das Zeichen. Ab jetzt darf scharf geschossen werden. Die Anspannung steigt. Schnell die Hunde losgemacht und auf geht’s ins Unterholz. Es ist matschig und bitterkalt. Überall Gestrüpp, die Dornen stechen durch die Kleidung. Von den Hunden ist nichts zu sehen.

Lange tut sich nichts. Nur Spuren der Wildsäue wie Borsten und angefressene Eicheln liegen auf dem Waldboden. „Das wird heute wohl nichts mehr“, sagt Naumann und man hört eine leise Enttäuschung in seiner Stimme. Das tiefe Dickicht hat seine eigenen Gesetze, auch bei mir erwacht ein archaischer Jagdinstinkt zum Leben. Wo ist die Beute?

Wir kämpfen uns weiter durch das Unterholz, in der Ferne erkennt man schon die grellen Westen der Jäger, die in kurzen Abständen um das Dickicht herum aufgestellt sind.

Plötzlich bellen die Hunde wie verrückt. „Sau!“schreit einer der Treiber. „Sau!“ kommt es von irgendwoher zurück. Plötzlich geht alles sehr schnell. Wie von der Tarantel gestochen prescht Cheftreiber Naumann durch das Gestrüpp. Es ist verdammt schwer, ihm zu folgen. Die Dornen reißen an der Weste, Äste schlagen ins Gesicht. Aber der Schmerz ist nur dumpf, durch den Körper peitscht Adrenalin. Weiter! Einfach weiter! Vor mir sehe ich Naumanns Weste. „Sau!“ ruft er nochmal. Dann verschwindet die Weste im Unterholz. Einfach so.

An der Stelle angekommen bietet sich ein groteskes Bild: Naumann ist am Boden, hält das Wildschwein an den Hinterläufen fest. Die Hunde haben es umstellt, knurren wie von Sinnen. Der Cheftreiber zückt das Messer. Schießen ist hier völlig unmöglich. Ein gezielter Stich in die Seite mitten ins Herz und in die Lunge. Die Lunge kollabiert, der Tod ist Sekundensache. „Das geht ganz schnell“, sagt Naumann, „wenn die Tiere quieken, tut es ihnen weh.“ Die Sau quiekt nicht. Stattdessen blubbert und gurgelt es, als das Blut aus der klaffenden Wunde herausspritzt.

Es wirkt alles ganz unreal, als die Treiber den Kadaver aus dem dicken Unterholz ziehen und mit dem Ausweiden anfangen. Am Boden klebt Blut. Naumann dreht das Tier um. Der rechte Vorderlauf ist völlig verkrüppelt. „Wahrscheinlich ein Autounfall,“ meint er. „Das Tier hatte bestimmt große Schmerzen.“

Die Pause dauert aber nicht besonders lang: Die Hunde schlagen wieder an. Durch das dicke Gestrüpp links neben uns rast etwas Graues. Der Jagdpächter legt sofort an. Ein ohrenbetäubender Knall aus nächster Nähe. Danach nur Rauch. Die Luft riecht nach Pulver. Aber keine Sau ist zu sehen. Dafür klebt Blut an einem Strauch und am Boden. „Erwischt hab’ ich das Tier,“ meint der Jagdpächter. Wieder kläffen die Hunde, sie scheinen das Tier noch zu verfolgen. Noch ein Schuss, diesmal von weiter weg. Das müssen die Jäger gewesen sein! Kein Gebell mehr, kein zweiter Schuss. Das wird’s dann wohl gewesen sein.

Naumann setzt noch ein paar gezielte Schnitte an dem ausgeweideten Tier. Dann ruft er die Hunde und weiter geht’s durch das Gestrüpp. Orientierung und Zeitgefühl habe ich längst verloren. Für mich zählt nur die quietschgelbe Weste des Cheftreibers.

Irgendwann scheinen wir das Gebiet durchkämmt zu haben. „Abblasen“ ruft der Jagdpächter. Ein Horn erklingt. Die Waffen werden entschärft, Jäger und Treiber versammeln sich. Der Adrenalinpegel sinkt. Plötzlich bin ich nur noch müde. Andreas Naumann kümmert sich liebevoll um seine Hunde. Zilly blutet an der Seite. Die Bache hat das Tier im Todeskampf erwischt. Es scheint aber nicht schlimm zu sein, denn Zilly wedelt schon wieder mit dem Schwanz. Die zweite Sau ist offensichtlich doch nicht tot, ein Jäger muss mit Hund und Schießeisen nochmal in den Kessel, um das Wild „nachzusuchen“. Wenig später findet er den Keiler tot im Dickicht.

Am Ende der Jagd fällt die Bilanz nüchtern aus: Zwei Wildsäue hat die Jagdgemeinschaft auf’s Korn genommen. „Sie hätten vor drei Wochen dabei sein sollen“, meint der Vorsitzende Peter Smischek, „da haben wir neun Stück erwischt“.

Zum Schluss versammelt sich die Jagdgemeinschaft um die ausgelegte Beute. Die Hörner blasen feierlich „Sau tot“ und „Halali“. Dann gehen alle ins Wirtshaus.

Und der Jagdpächter wird wieder zu einem ganz normalen Finanzbeamten.

Tobias Langenbach

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