Wahrhaftigkeit und Widersprüche
Grandios: Christof Prick und die Nürnberger Philharmoniker mit Mahlers „Sinfonie Nr. 2“ in der Meistersingerhalle
In seinem letzten Jahr als Nürnberger Generalmusikdirektor hatte Philippe Auguin einen Traum. Er spielte intern die Idee durch, mit Mahlers 80-minütiger „Auferstehungs-Sinfonie“ vor die 60.000 Gäste des Klassik-open air im Luitpoldhain zu treten. Es wäre für die Picknick-Gemeinde eine mächtige Herausforderung, vermutlich ein Kulturschock geworden, vielleicht aber auch das Jahrhundert-Ereignis der E-Musik in dieser Stadt. Letztlich scheiterte der Plan an der Technik und an der Angst vor dem Publikum. Auguins Nachfolger Christof Prick, der im Sommer Nürnberg verlässt, hat die besondere Mahler-Pflege eindrucksvoll fortgesetzt. Ehe er im Juli mit dem mächtigen „Lied von der Erde“ als sein Projekt Nr. 5 den Schlusspunkt setzt, holte er mit den Philharmonikern die besagte Sinfonie Nr. 2 in die ausverkaufte Meistersingerhalle. Da war ihr Begeisterung sicher.
Nur bei der „Sinfonie der Tausend“ wurde die Bühne der Meistersingerhalle schon mal dichter besetzt. Für den Ruf nach dem „großen Appell“ des Jüngsten Gerichts waren hundert Musiker und zweihundert Chorsänger in Aktion. Gelenkt von Christof Prick, der das monumentale Werk mit seiner auch hundert Jahre nach dem Tod des Komponisten noch verblüffenden Stil-Vielfalt auswendig dirigierte. Er hat es tatsächlich nicht nur „im Kopf“, er lässt das Herz schlagen für jenen Mahler, der nicht weniger will als alles.
Zwischen den Polen der Interpretationsgeschichte, den Überschwänglichen (Bernstein, Levine) und den Analytikern (Boulez, Gielen) gibt es viel Spielraum. Maestro Prick nutzt ihn weiträumig zur eigenen Akzentuierung. Er bleibt dabei der Kontrollfreak, der seine Musiker nie ganz von der Leine lässt, sie aber durchaus ermuntert, daran zu zerren. Sein Blick auf den frühen Mahler umfasst dessen Widersprüche und präsentiert sie als Reichtum. Vom Pathos der „Totenfeier“, dem gigantischen Ringen um den Ausdruck von Wahrhaftigkeit, bis zum aufgebäumten Finale aller Stimmen und Instrumente. Dazwischen tätschelt und kitzelt der Dirigent die Poesie der kleineren Form, hebt die bodenständigen Ländler-Motive in einen Schwebezustand, lässt den „Spuk des Lebens“ vielleicht etwas zu defensiv durchs gleichmäßige Grau fließen. Das wird mit dem fernen Klang der Außenbeschallung aufgelöst, von den Sängern in eine andere Dimension überführt. Mit Heidi Elisabeth Meier und Alexandra Petersamer finden zwei erstklassige Solistinnen den strömenden Ton, der sie dem gewaltigen Chor zueignet. Umwerfend, wie das von Julia Christoph Tölle einstudierte Kollektiv aus Hans-Sachs-Chor, Uni-Chören und Philharmonischem Chor München vor dem großen Wumms ein zartes Lyrik-Gespinst beherrscht.
Eine grandiose Aufführung, die das Orchester von seiner besten Seite zeigt. Vielleicht hätten sogar die Luitpoldhain-Stammgäste mitgejubelt. D.S.
Wiederholung am 25. Januar, 20 Uhr, Erlangen, Heinrich-Lades-Halle, 09131/862252
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