Von Escada hinter Gitter: Eine Schneiderin wechselt das Metier

Früher hat Christine Abele-Lohse für ein Münchner Luxus-Label geschneidert. Heute bringt sie Häftlingen bei, wie man Handytaschen und Kommunionskleider näht.
AICHACH Seide und Satin glitten früher durch Christine Abele-Lohses Hände. Heute ist es grober Baumwollstoff. Einst hat die heute 42-Jährige beim Münchner Luxuslabel Escada gelernt, jetzt bringt sie im Aichacher Knast bei Augsburg Verbrechern das Schneidern bei.
Sieben schwere Sicherheitstüren muss Abele-Lohse jeden Tag auf ihrem Weg zur Arbeit aufsperren. Ein Weg durch lange Gänge, vorbei an Zelltüren. In der Schneiderwerkstatt rattern die Nähmaschinen und das Bügeleisen dampft. An den Wänden hängen Gewänder: eine Jeansjacke mit passendem Wickelrock, eine Tunika, ein Jackett – genäht aus einer alten Gefängnisdecke. Zwei Lehrlinge säumen Tücher ein, eine Mitarbeiterin restauriert ein altes Kirchentuch, eine andere näht Handytaschen aus Filz. Auf den Tischen liegen Stoffballen, Filztaschen, Scheren, Fäden, Nadeln, Kreide und Maßbänder. Hinter den vergitterten Fenstern zeichnet sich das Beachvolleyball-Feld der JVA Aichach ab.
„Ich wollte im Modebereich etwas Sinnvolles tun, eine soziale Tätigkeit ausüben“, sagt Abele-Lohse, die an der Deutsche Meisterschule für Mode in München studierte. Seit 2001 bildet sie alle zwei Jahre drei Lehrlinge zu Modenähern und -schneidern aus. Bedingung: Die Insassen wollen wirklich Schneider werden und müssen mindestens drei Jahre verbüßen. Denn solange dauert auch die Ausbildung. Und draußen würden die Wenigsten die Lehre fortsetzen, meint Abele-Lohse.
Seit über 25 Jahren werden in der JVA Aichach Insassen zu Schneiderinnen ausgebildet. Abele-Lohse liebt ihren Beruf: „Ich erkenne hier täglich im Umgang, dass auch kriminelle Menschen gut sind, wenn sie eine Perspektive haben und sich in einem geregelten Umfeld befinden.“ Die Insassen seien dankbar, weil jemand an sie glaubt. Viele haben zum ersten Mal die Chance auf eine Ausbildung.
Auch sonst ist Abele-Lohse eine untypische Chefin. Personalakten liest sie erst gar nicht. Sie möchte die Häftlinge ohne ihre Vorgeschichte kennenlernen – und ohne Vorurteile. „Das tue ich auch bei Gefangenen, die wegen Mordes oder anderer hoch krimineller Taten im Gefängnis sind.“
Von Designerkleidung hat Abele-Lohse sich verabschiedet. Heute trägt sie jeden Tag das Gleiche: ein senffarbenes Hemd mit grünem Pullunder, eine beige Hose. Ihr altes Leben in der Modewelt vermisst sie nicht. Diese Welt sei ihr zu schnelllebig und oberflächlich geworden. Die Konkurrenz sei zu groß und die Firmen drückten die Preise stets weiter nach unten. In der Werkstatt von Abele-Lohse wird dagegen keine Massenware hergestellt. Hier werden Trachten-, Abend- oder Kommunionskleider genäht, die von Bediensteten in Auftrag gegeben werden. Auch die JVA-eigene Bettwäsche wird in einer der benachbarten Schneidereien gefertigt, hinzu kommen Blusen, Röcke und Parkas für alle weiblichen bayerischen Gefängnisinsassen.
Manchmal übernehmen die Schneiderinnen auch kleine Aufträge von draußen, jungen Firmen, für die es sich nicht lohnt, im Ausland zu produzieren. Großaufträge wie in anderen Gefängnissen gibt es hier in Aichach nicht – dafür ein eigenes Label. Unter dem Namen „Haftsache“ kreieren die Mitarbeiterinnen von Abele-Lohse auch eigene Produkte wie Handy- und Aktentaschen oder Laptopmäppchen. Diese will die Koordinierungsstelle, die die Arbeitsstellen der bayerischen Anstalten vernetzt, in einem Internetshop verkaufen.
Dabei ist Abele-Lohse sehr anspruchsvoll: Stets kontrolliert sie, ob die Nähte an den Taschen auch gerade sind. Doch neben der Qualität sind ihr auch Ästhetik und Kreativität sehr wichtig. Kreativität bedeutet für die Schneiderin, aus dem Alltag auszubrechen, frei zu sein. Und sei es nur für ein paar Stunden, selbst hinter Gefängnismauern. kh, akk