Vom Flieger-General zur Marschalls-Witwe
NÜRNBERG -Nürnbergs Schauspielchef Klaus Kusenberg über Notquartiere und die „Schuld“-Frage
So viele Spielstätten hatte das Nürnberger Schauspiel noch nie. So viele Probleme mit den Auftrittsorten allerdings auch nicht. Schauspieldirektor Klaus Kusenberg, der mit seinem Ensemble am Richard-Wagner-Platz den Sanierungs-Truppen weichen musste, lässt morgen in der Tafelhalle die Saison mit der „Orestie“ eröffnen, schickt am Folge-Wochenende die eigene Inszenierung von Zuckmayers „Des Teufels General“ in der Kongresshalle hinterher. Es folgen auf der dortigen Probebühne „Enigma Emmy Göring“ (25.10.) von Werner Fritsch und im Ka-Li am Plärrer der Auftakt einer „Umbau-Soap“ (19.10.). Das AEG-Projekt „ArbeitsEndeGestern“ (24.10.) geht von Muggenhof aus.
AZ: Ursprünglich sollte die Schauspielhaus-Sanierung nicht mehr als eine Spielzeit dauern. Und jetzt?
KLAUS KUSENBERG: Nach der letzten Verzögerung wegen der Betondecken-Sanierung lagen wir bei zwei Jahren — und von da an wird es bitter, denn hätten wir das vorher gewusst, wäre unsere Suche nach Ersatz-Spielstätten ganz anders ausgefallen.
Wie lauten denn die Wetten auf den Rückkehr-Termin?
Es macht wenig Sinn, kurz vor der Sommerpause ein Haus zu eröffnen. Deshalb gehen wir nicht vom Juni sondern vom 1. Oktober aus.
Welchen Jahres?
(schrill auflachend) 2010, will ich doch hoffen! Mein Laienverstand lässt mich hoffen, dass es ohne weitere Verzögerungen geht. Wir haben verabredet, dann im Frühsommer nicht mehr zu spielen, um den Neustart groß vorzubereiten.
Wie groß?
Richtig groß, mit acht Premieren zum Auftakt.
Zunächst müssen Sie zwei Not-Spielzeiten überstehen...
Und da sind wir nun ungeheuer erleichtert, dass die Zuschauer sich nicht abschrecken lassen. Es gibt bei den Abonnenten eine gewisse Verschiebung hin zur Tafelhalle, aber keinen Einbruch. Dass es dort nicht um kleines Kammerspiel geht, zeigt ja die Start-Premiere „Orestie".
Der Konzertsaal an der Kongresshalle bleibt Ihnen als Problemstau. Kann man in diesem Raum nur die allerplakativsten Stücke spielen?
Bei „Arturo Ui" war das so, also alles an die Rampe. Bei „Des Teufels General" wird es schwieriger, denn Zuckmayer hat über weite Strecken ein Kammerspiel geschrieben. Wir mussten also etwas tun.
Haben Sie den Umbau umgebaut?
Die radikalste und beste Lösung, eine neue Tribüne im Saal, durften wir nicht machen. Jetzt arbeiten wir mit schallschluckendem Material an den Wänden, um den Echohall wegzukriegen. Aber das schluckt natürlich die Worte auch. Wir experimentieren immer noch.
Sehen wir auf der Behelfs-Bühne denn jetzt zwei Jahre lang Szenenbilder als abstrakte Kompromisse?
Überbordend groß waren die technischen Möglichkeiten im Schauspielhaus auch längst nicht mehr - und dennoch gab es immer wieder überraschende Bühnenbilder. Aber es stimmt schon, es gibt hier keine Seitenbühne, nur den Spielraum, den jeder sieht. Natürlich nervt es uns alle, dass wir Fragen nach der Kunst stellen wollen, uns dann jedoch darum kümmern müssen, ob es reinregnet.
Sie haben über die Saison das Donner-Wort „Schuld" geschrieben. Wäre es trotz Nazi-Kulisse nicht auch ne Nummer kleiner gegangen?
Wir sind ein kleines Theaterchen, das nicht leisten kann, was die Gesellschaft zuvor 60 Jahre lang versäumte. Wir reagieren ja nur! Die äußere Kulisse drumherum ist nicht Teil unseres Kunst-Konzepts, auch wenn manche Kollegen inzwischen so reden als ob. „Schuld" ist ja nicht ein ausgerufenes Lern-Ziel für Nürnberg, sondern die Definition der Tragödie schlechthin, also schuldlos schuldig zu werden.
Aber nach Hitler lassen Sie seinen Flieger-General und dann die Witwe Emmy Göring aufmarschieren...
Das sind keine Buß-Übungen, das ist pralles, gefühlvoll ausgelotetes Theater. Ich verspreche es: Mit dieser Saison ist das Thema dann ausgereizt.
Interview: Dieter Stoll
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