Vergasen, nicht bös gemeint
NÜRNBERG - Beim Fürther Wandertheater-Projekt „Jüdisch Jetzt“ musste das Publikum lauschige Ecken erkunden und koschere Suppe löffeln – aber am Ende war wieder mal auf William Shakespeare Verlass.
Wenn ein weiblicher Moses mit Umhängebart Gesetzestafeln schwenkt, eine männliche jiddische Mama russischer Herkunft mit viel „Dawai, Dawai“ dem Publikum Matzenknödel-Suppe einflößt und fleischgewordene Y-Chromosome vor aller Augen genetischen Foxtrott tänzeln, dann bekommt dieses (zweifellos ehrenwerte und wohl noch besser gemeinte als gemachte) Fürther Wander-Projekt „Jüdisch Jetzt“ einen Hauch von Woody Allen: Was Sie schon immer über Juden wissen wollten, aber auch diesmal nicht zu fragen wagen.
Ganz koscher ist die quer durch die Stadt vom Theater übers Jüdische Museum und die bedrohliche Küche der Israelitischen Kultusgemeinde bis zur Kulturforum-Säulenhalle führende Theatermacherei nicht. Regisseur Christian Schidlowsky hat – das Rezept der auf abzapfbare Laien-Kompetenz setzenden internationalen Gruppe „Rimini-Protokoll“ variierend – vier Schauspieler und einen Impro-Chor „Fürther Bürger“ ins hier buchstäblich so zu verstehende Rennen geschickt. Sie sind immer schon da, wenn das in zwei Gruppen aufgeteilte Publikum schwer atmend am nächsten Schauplatz eintrifft. Die Profis wechseln die Rollen für Klischee-Jongliererei (machen den „Versöhnungsjuden“ fürs „Tätervolk“, den gewaltbereiten „Kontingent-Flüchtling“ aus der Sowjetunion oder alttestamentarische Travestie-Figuren), die Laien spielen Laien und mischen sich mit trainierter Naivität als Pseudo-Zuschauer ein.
Das beginnt mit einem „Jude!“-Zwischenruf bei der Intendanten-Begrüßungsansprache (Provokation oder Fake, da waren sich manche gar nicht so sicher), gleitet sanft zum illustrierten Volkshochschulkurs in den gewundenen Räume des Jüdischen Museums und fährt sich in der Kultusgemeinde zielgenau am Regularium vom „Böcklein“, das nicht in der Milch seiner Mutter gekocht werden möchte, fest. So schleicht sich der Gedanke ein, ob für eine mit dem Wort „Jetzt“ operierende Skizze aus dem einstigen „fränkischen Jerusalem“ wirklich die religiösen Küchenregeln von so dominierender Bedeutung sind.
Beim Stationen-Weg, wo das (vom Regisseur) auserwählte Volk öfter mal „Hosianna, Halleluja, Hipp-Hipp Hurra“ schreit und eine klampfende Bardin am Springbrunnen die bedingt überraschende Botschaft „Wir wollen Frieden für alle“ singt, gibt es auch einen echten Moment der Herausforderung. Wartet doch an der Rutschbahn eines Spielplatzes der Prototyp des Kicker-Fans, um mundartistisch die Geheimnisse der Kampfsprache am Beispiel Greuther Fürth zu erläutern. Wenn im Stadion von „Vergasen“ die Rede sei, so hat er uns beruhigt, seien nicht Juden gemeint, sondern bloß Gegner am Platz. Das fanden einige Zuhörer „nicht so gelungen“.
Sie werden sich beim 40-Minuten-Finale des knapp vierstündigen Abends wohler gefühlt haben, denn da lässt Schidlowsky die Kulturforum-Säulen wie einen Dom ausleuchten und die Darsteller ranken sich nach Show-Getümmel plötzlich an Shakespeares Shylock hoch. Das bringt mehr als die zitierte Patenschaft mit ungenannten „jüdischen Mitbürgern“, die das „Jetzt“ offenbar auch nicht recht erklären konnten. Was andererseits eine Perspektive ist – Normalzustände sind ja selten spannend. Dieter Stoll
Termine: 21.6., 1., 2. und 5.7. – Karten unter Tel. 9742400.
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