Utopie mit Edel-Kitsch

Flucht vor Blutspritzern – aber demonstrativer Beifall: Detlev Glanerts Opern-Uraufführung „Das Holzschiff“ am Staatstheater ist ehrbar, interessant und vieles mehr – aber nicht wichtig
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or den Blutspritzern brachten sich einige Premieren-Gäste in Sicherheit: die Nürnberger Uraufführung „Das Holzschiff“.
Ludwig Olah or den Blutspritzern brachten sich einige Premieren-Gäste in Sicherheit: die Nürnberger Uraufführung „Das Holzschiff“.

Nürnberg - Flucht vor Blutspritzern – aber demonstrativer Beifall: Detlev Glanerts Opern-Uraufführung „Das Holzschiff“ am Staatstheater ist ehrbar, interessant und vieles mehr – aber nicht wichtig

Ein paar Zuschauer sind vorzeitig vor den Blutspritzern geflüchtet, einige mehr haben spontan nach dem letzten Ton von Detlev Glanerts Opern-Uraufführung „Das Holzschiff“ ihr Missvergnügen herausgelassen – aber dann gab es langen, demonstrativen Beifall für das Nürnberger Auftragswerk. Die Vorlage, ein tiefschürfend gedrechseltes Buch des dichtenden Orgelbauers und auch sprachlich mächtig orgelnden Hans Henny Jahnn, ist laut verbreiteter Einschätzung des Staatstheaters „einer der wichtigsten“ Romane des 20. Jahrhunderts, während Komponist Glanert überhaupt „der wichtigste“ seiner Generation sei. Das Ergebnis seines Versuches, der Literatur-Oper ihre neue Chance und der Melodie dabei Unterschlupf zu geben, ist ehrbar und interessant – aber „wichtig“ ist es wohl nicht.

Das „Holzschiff“, das mit einem blinden Passagier und vielen seelisch verkrüppelten Besatzungsmitgliedern in See sticht, qualifiziert den Fliegenden Holländer nachträglich für eine ZDF-Kreuzfahrt. Zwar wird es liebevoll „weiblich“ genannt, aber das Innenleben des schwimmenden Mysteriums steckt voller Tücken. Spione werden da vermutet, Menschen verschwinden, Tyrannei ist Seemannsrecht. Und die Gerüchte über den Inhalt versiegelter Kisten führen zu Gewalt: „Leichen? Giftgas? Sprengstoff?“ Viel schlimmer: Alles ist leer, die Reise der Gesellschaft führt ins Sinnlose. Beim unausweichlichen Untergang gibt es nicht mal den Trost einer Bordkapelle. Immerhin die Vision für zwei Überlebende, die bei Kunst und Natur die nächste Runde wagen wollen. Eine Utopie, mit Edel-Kitsch gefüttert.

Detlev Glanert hat es sich, wie man hört, nicht leicht gemacht. Viele Fassungen der radikal reduzierenden Textvorlage von Christoph Klimke wurden verworfen, ehe das Ergebnis akzeptiert war. Es bleibt auch in der jetzigen Version am Grundproblem hängen, dass Poesie-Extremist Jahnn für handliche Szenenportionen nicht taugt. Die gestauchte Sprachkunst lässt hier stelzende Floskeln aufeinander prallen. „Schuldig“, ruft es immer wieder aus dem Off. Für alle, die es nicht gemerkt haben! Dabei hat die Musik ihre starken Seiten. Der glänzende Handwerker Glanert, der mit einem Dutzend Opern auf der Stadttheater-Ebene etabliert ist, schleicht sich jenseits aller Avantgarde-Verrenkungen über Krimi-Soundtrack und Signal-Dramatik in den auftrumpfenden Effekt eines immer wieder gern komponierten Sturms (von Dirigent Guido Johannes Rumstadt und dem Philharmonischen Orchester pointiert umgesetzt) und schaltet gekonnt zurück auf tonale Gesangs-Artistik. Sopranistin Heidi Elisabeth Meier ist da per Doppelrolle erneut im Höhenflug, die abgerufene Bariton-Wucht von Nicolai Karnolsky bleibt eckig. Wuchtig macht sich der Chor bemerkbar.

Provokations-Altmeister Johann Kresnik inszeniert relativ verhalten. Das fabrikneu hölzerne Schiffsgerippe als Spielraum (Bühne: Bernhard Hammer) erinnert an Kunstgewerbe aus dem Erzgebirge, das Metaphern-Zwischenlager im Hintergrund füllt mit Albtraum-Posing auf, was an der Rampe an Inspiration fehlt. Das Ballett räkelt sich in selbstgebastelten Dämonen-Sinnbildern, die zwölf Breakdancer stürmen aufs Stichwort „Unendlicher Hass“ wie fröhliche Anarchie-Apostel herbei. Dazwischen schreiten feurige Todesengel, zwei nackte Frauen lieben und zwei alte Herren küssen sich. Unvorbereiteten Zuschauern bleibt die Orientierung an Szene VII – sie heißt „Verwirrung“. Von der Bühne hört man: „Das Unnennbare, es bohrt sich in uns hinein“. Aber da ist das Unsingbare längst abgeprallt. Den Versuch mit dem „Holzschiff“ war es sicherlich wert, doch die Zukunft der Oper wird hoffentlich anders aussehen. Dieter Stoll

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