Interview

Urnen aus Papier: Designerinnen aus Bayern schaffen nachhaltige Verpackungen für den Tod

Zwei Designerinnen aus Regensburg schaffen mit Urnen aus Papier einen neue Ästhetik für Beerdigungen. Denn sie selbst waren von der herkömmlichen Friedhofssymbolik enttäuscht. Mit ihren Urnen aus Papier begeistern sie viele Trauernde – und helfen ihnen beim Abschiednehmen. Und manchmal kommen sie sogar als Vasen zum Einsatz.
von  Natascha Probst
Die Frauen hinter den "urnfold"-Urnen: Katharina Scheidig (l.) und Kristina Steinhauf.
Die Frauen hinter den "urnfold"-Urnen: Katharina Scheidig (l.) und Kristina Steinhauf. © urnfold

AZ: Frau Scheidig, in Deutschland ist nicht nur das Leben, sondern auch der Tod stark bürokratisch geregelt – zumindest was Beerdigungen angeht. Sind Urnen aus Papier denn erlaubt?
KATHARINA SCHEIDIG: Es ist alles geregelt, aber innerhalb dieser Regeln ist dann doch recht vieles möglich. Im Grunde ist es nur wichtig, dass die Urne biologisch abbaubar ist und dass sie gewisse Maße einhält. In unserem Fall ist sie 30 Zentimeter hoch und darf nicht breiter als 23,5 Zentimeter sein, weil so die Gräber auf den Friedhöfen vorbereitet werden, und es dann noch Senkschnüre braucht, mit denen man die Urne in das Grab hinunterlassen kann. Das war schon alles.

Das ist überraschend.
Das sagen viele. Man könnte sich auch selbst aus einfachen Hilfsmitteln eine Urne bauen, entweder ein Makramee knüpfen oder eine Papiertüte nehmen. Die Asche kommt aus dem Krematorium in einer sogenannten Aschekapsel oder in einem biologisch abbaubaren Beutel. Und darum herum kann man die Urne bauen – wenn man sich an die Regeln hält.

"urnfold"-Designerin Katharina Scheidig: Ihre erste Urne baute sie aus Holz

Ihre Geschäftspartnerin Kristina Steinhauf fand nach dem Tod ihres Vaters keine passende Urne – was den Grundstein für Ihre heutigen Papierurnen legte. Was hat sie an den herkömmlichen Urnen gestört?
Kristina hat zu dem Zeitpunkt eine Geigenbauausbildung gemacht, stand dann beim Bestatter und hat sich von der vorherrschenden Ästhetik überhaupt nicht abgeholt gefühlt. Weder von den religiösen noch von den aus unserer Perspektive leicht kitschigen Symboliken: Irgendwelche Vogelabschiedsschriftzüge sind völlig in Ordnung, aber Kristina dachte sich in diesem Moment, dass das einfach nicht zu ihrem Papa passt. Und dass sie, wenn sie Geigen bauen kann, auch diese Schatulle anfertigen kann. Dann hat sie ihre erste Urne aus Holz gebaut.

Katharina Scheidig studierte an der Bauhaus Universität Weimar Kommunikationsdesign mit dem Schwerpunkt Fotografie und Interfacedesign. 2020 gründete sie zusammen mit ihrer Kollegin Kristina Steinhauf "urnfold".
Katharina Scheidig studierte an der Bauhaus Universität Weimar Kommunikationsdesign mit dem Schwerpunkt Fotografie und Interfacedesign. 2020 gründete sie zusammen mit ihrer Kollegin Kristina Steinhauf "urnfold". © privat

Und gemeinsam haben Sie dann "urnfold" gegründet.
Ich habe Kommunikationsdesign studiert und mir gedacht, wie komisch es ist, dass es für alle Bereiche unseres Lebens, von der Hundeleine über den Klodeckel bis zur Handyhülle schönes, zeitgemäßes und nachhaltiges Design gibt. Nur wenn es ums Thema Sterben geht nicht. Obwohl der Tod eines geliebten Menschen einen ja prägt wie nichts anderes. Dass man mit Verlust umgehen muss, ist ja ein riesiger Teil unseres Lebens.

Man will als letzte Tat auf Erden nicht die Umwelt belasten

Wie wichtig war Ihnen dabei Nachhaltigkeit?
Eine Urne ist die letzte Verpackung. Für den Moment des Abschieds gibt sie mir eine emotionale Aufwertung und danach soll so schnell wie möglich nichts mehr von ihr übrig sein. Man will ja als letzte Tat auf Erden nicht noch die Umwelt belasten. Wir haben sehr lange recherchiert und sind auf eine alteingesessene Papierfabrik in Gmund am Tegernsee gestoßen, die extrem hohe Maßstäbe an Nachhaltigkeit hat.

Erst vor Kurzem haben die beiden Regensburgerinnen den German Design Award 2024 für ihre Urnen erhalten – einen der wichtigsten Design-Preise Deutschlands. Was eine Urne kostet, lässt sich nicht genau sagen: Der Preis hängt von den einzelnen Bestattungsunternehmen ab und variiert stark.
Erst vor Kurzem haben die beiden Regensburgerinnen den German Design Award 2024 für ihre Urnen erhalten – einen der wichtigsten Design-Preise Deutschlands. Was eine Urne kostet, lässt sich nicht genau sagen: Der Preis hängt von den einzelnen Bestattungsunternehmen ab und variiert stark. © urnfold

Und warum Papier?
Papier bietet vielseitige Designmöglichkeiten und mit Papier haben die meisten schon mal gebastelt. Dafür hat man ein Gefühl und traut sich mehr.

Denn Ihre Idee ist es auch, dass die Angehörigen, die Urne gestalten und personalisieren können. Sehen Sie die fertig gebastelten Urnen dann am Ende manchmal?
Ja, wir bekommen oft Bilder zugeschickt, das ist total schön.

Die Auswahl an Urnen ist recht bunt. Welche Rolle spielen Farben?
Wir wollen eine Bandbreite an Farben anbieten, die Menschen im Leben als Lieblingsfarben bezeichnen würden. Die Farbe muss ja zu der Person passen und man sollte nicht eine Trauerfarbe wählen, weil man denkt, dass es das ist, was sich gerade gehört.

Bei dem Design denkt man nicht gleich an eine Urne. Haben sich Leute die Urnen auch schon mal als Vase gekauft?
Ja, tatsächlich. Wir hatten mal einen kleinen Laden in der Regensburger Innenstadt, von der Stadt gefördert, nur zur Zwischennutzung. Da kamen Leute vorbei, die sagten: "Ich habe jetzt zwar keinen Sterbefall, aber ich hätte gerne so eine Urne daheim."

Die Urnen soll man sich möglichst in der Lieblingsfarbe des Verstorbenen aussuchen können.
Die Urnen soll man sich möglichst in der Lieblingsfarbe des Verstorbenen aussuchen können. © urnfold

Im Freundeskreis haben sich alle schon eine Urne ausgesucht

Vorab wird kaum über den Tod gesprochen. War dennoch schon mal jemand da, der sich für sich selbst eine Ihrer Urnen wünscht?
Tatsächlich häufig. Manchmal ist es die Tochter, die uns anruft, weil sie in der Vorsorgemappe ihrer Mutter einen Zeitungsartikel mit unseren Urnen gefunden hat. Aber auch in unserem Freundeskreis hat sich jede Person schon ihre Urne ausgesucht. Bei uns ist das Thema natürlich Alltag und da wird unter Freunden viel Spaß gemacht. Wie es dann manchmal aber so mit dem Leben und dem Sterben ist, kommt es vor, dass jemand krank wird und uns dann sagt, ich würde mir jetzt mal diese Urne vormerken.

Beschäftigt sich unsere Gesellschaft zu wenig mit dem Tod?
Auf einer abstrakten Ebene wird sich sehr viel mit dem Tod beschäftigt, zum Beispiel in der Popkultur, aber auf einer persönlichen Ebene haben viele Berührungsängste. Bis man mal das Gespräch öffnet. In unserem Laden haben wir das oft erlebt – da sind richtig gute Gespräche entstanden. Aber auf einer gesellschaftlichen Ebene wird viel im Krankenhaus oder Pflegeheim gestorben. Die Erfahrung, jemanden beim Sterben zu begleiten, machen nicht mehr viele. Es wäre schon schön, wenn die Gesellschaft wieder mehr Bezug zum Ende des Lebens finden würde.

Werden die Urnen auch für verstorbene Haustiere gekauft?
Ja, wir bekommen immer wieder Anfragen für Tierbestattungen. Vor allem wenn man keinen eigenen Garten hat, möchte man eine Form des Abschiednehmens finden. Das Interessante ist, dass Menschen, die uns wegen verstorbenen Tieren anfragen, oft viel emotionaler sind als Angehörige, bei denen Menschen gestorben sind. Da wird dann auch wirklich am Telefon geweint, das passiert bei Menschen eigentlich nie. Ein Verlust von einem Tier ist aber für uns auch nicht weniger wert.

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