Unterhollerau: So bayerisch ist ein Rolls-Royce

Unterhollerau - Es ist Mittagszeit in Unterhollerau: Männer im Blaumann, alte und junge und welche dazwischen, strömen aus einer großen Halle ins Freie. Eigentlich sind sie auf dem Weg in die Kantine – aber dann bleiben sie abrupt stehen. Fünf auf Hochglanz polierte Rolls-Royce prangen direkt vor ihnen auf dem Hof. Luxusschlitten, die sie sich nicht leisten können, die sie aber teils wie ihre Westentasche kennen.
Sie nämlich haben das Aluminium-Skelett für die fünf Wagen gebaut. "Scheene Autos", sagt einer von ihnen, Daniel, 27, Niederbayer. "Wir sehen ja sonst nur die Rohkarossen", sagt sein Kollege Andi. Das Besondere an den Wagen sei die hohe Qualität in der Verarbeitung. "Den Unterschied kennt ma scho", so der 50-Jährige.
Rolls-Royce-Karosserien aus Dingolfing
Ein gutes Dutzend Männer steht mittlerweile im Hof. Sie sind ehrfürchtig, stolz auf ihre Arbeit und machen Fotos, um den besonderen Augenblick festzuhalten. Zu Recht, denn kurz darauf sind die Nobelkarossen wieder weg – und mit ihnen auch die Journalisten, die einen Blick in das sonst so geheime Werk bei Dingolfing werfen durften. Hier entstehen sämtliche Karosserien für die Nobelmarke, die auf eine Historie von 115 Jahren zurückblickt. Warum aber ausgerechnet in Niederbayern? "Wir haben hier in Dingolfing die Aluminium-Kompetenz", sagt Petra Peterhänsel, Karosseriebau- und Lackierereileiterin in dem Werk.
Denn schon vor 20 Jahren ist an diesem BMW-Standort der Z 8 produziert worden. Nachdem BMW 2003 den Autohersteller Rolls-Royce übernommen hat, zog deren Karosserie-Produktion zu den Alu-Spezialisten nach Dingolfing. Zusammengebaut werden die Luxusautos weiterhin im englischen Goodwood.
Rund 28 Ghost, Wraith-, Cullinan- und Phantom-Skelette verlassen Unterhollerau täglich. Früher, um 1900, war der Standort eine Ziegelei, erzählt Rolls-Royce-Chefentwickler Mihiar Ayoubi. Später wurde die 40.000 Quadratmeter große Fläche von BMW als Lager genutzt, danach wurde sie zum Karosserie-Werk.
Jetzt stehen dort die silberweiß glänzenden Alu-Space-Frame-Karossen in Reih und Glied, glattpoliert und bereit zum Transport ins 1.500 Kilometer entfernte Goodwood. Zuvor sind sie von über 300 Mitarbeitern aus 3.000 Einzelteilen zusammengebaut worden. "2.000 Nieten und Schrauben und 135.000 Millimeter Kleber sind pro Karosserie verbaut", sagt Christian Kiermaier, der Fertigungsleiter.

Männer und Roboter arbeiten Hand in Hand
In den Hallen verrichten teils schwere Titan-Roboter hinter käfigartigen Gittern ihre Arbeit. Sie arbeiten Hand in Hand mit den Männern im Blaumann, die konzentriert wirken und entspannt zugleich. Ein leichter Geruch von heißem Metall führt zu den Schweißern, allesamt mit einem Helm auf dem Kopf, der fast ein bisserl an Darth Vader erinnert.
Die Mitarbeiter arbeiten sichtlich sorgfältig. "Es geht um Zehntelmillimeter", sagt Kiermaier. Es sei eine Kunst, die Guss-, Press- und Formteile so präzise zusammenzufügen. Bestimmte Schweißer seien dafür sogar vier bis fünf Jahre lang ausgebildet worden.
Luxuskarosse für über 265.000 Euro
Das Geschäft mit den Edelkarossen läuft gut. Besonders der neue Cullinan (571 PS, 2,66 Tonnen Gewicht), mit dem die Briten erstmals das Segment der Luxus-SUV geentert haben, wird stark nachgefragt. Seit Anfang des Jahres ist das Modell, benannt nach einem der größten Diamanten der Welt, auch in Deutschland erhältlich. Allerdings nicht unter 265.000 Euro – exklusive Mehrwertsteuer, versteht sich. Mit ein bisschen Ausstattung sind es gleich 100.000 Euro mehr, nach oben gibt es keine Grenze.
So werden auf Kundenwunsch auch Einzelstücke gefertigt, wie beispielsweise der Sweptail – eine Spezialausführung des Rolls-Royce-Modells Phantom. Laut dem britischen "Telegraph" soll der Auftraggeber zehn Millionen britische Pfund (über elf Millionen Euro) dafür gezahlt haben.
Wie angenehm die Fahrt mit einem Rolls-Royce ist, davon durfte sich auch die AZ auf einer Probefahrt mit dem 5,30 Meter langen und zwei Meter breiten (gemessen ohne Außenspiegel) Cullinan überzeugen. Wie eine Sänfte gleitet der Wagen über die Autobahn und blendet Fahrgeräusche weitestgehend aus. Hohe Geschwindigkeiten wirken wesentlich langsamer. Deshalb fühlt sich ein Baustellen-Tempo-60 auch eher wie Schrittgeschwindigkeit an – was dem Fahrer dann durchaus einige Geduld abverlangt. Auch das Fassungsvermögen des 100-Liter-Tanks beeindruckt – zunächst. Denn bei einem Spritverbrauch von durchschnittlich 15 Liter auf 100 Kilometer muss der Fahrer ja genauso oft tanken wie mit einem spritsparenden Kleinwagen mit Minitank.

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