Ungewollt schwanger: Zwischen Hürden und Hass

Münchens IT-Referentin Laura Sophie Dornheim hat offen darüber gesprochen, wie schwierig es ist, selbst in München einen Arzt für eine Abtreibung zu finden. Noch schlechter ist die Lage in Niederbayern.
von  Anne-Christin Baberske
Aktivisten setzen sich auf einer Demo für Schwangerschaftsabbrüche ein. Ausriss: So hat die AZ über das geplante Buch der neuen IT-Referentin zum Thema berichtet.
Aktivisten setzen sich auf einer Demo für Schwangerschaftsabbrüche ein. Ausriss: So hat die AZ über das geplante Buch der neuen IT-Referentin zum Thema berichtet. © M. Schmidt

Passau - Nicht jede Schwangerschaft ist gewollt. Deshalb entscheiden sich einige Frauen für einen Schwangerschaftsabbruch. Obwohl ein solcher Entschluss bereits alles andere als leicht fällt, ist in Deutschland auch der Weg bis zum Eingriff schwer.

Das hat Münchens neue IT-Referentin Laura Sophie Dornheim (38) kürzlich in der AZ geschildert. Sie hat vor sieben Jahren selbst abgetrieben – und beklagt die teils schlechte Versorgungslage für betroffene Frauen. Auf der Liste der Bundesärztekammer findet man offiziell gerade einmal vier Münchner Ärzte, die den Eingriff durchführen. Besonders schlecht aber ist die Situation in Niederbayern.

Ausriss: So hat die AZ über das geplante Buch der neuen IT-Referentin zum Thema berichtet.
Ausriss: So hat die AZ über das geplante Buch der neuen IT-Referentin zum Thema berichtet. © AZ

In Passau gibt es die Methode mit Medikamenten nicht

Rückblick: Freitag, der 24. Juni. Während in Deutschland das Werbeverbot für Abtreibungen aufgehoben wird, gehen die USA bei der Selbstbestimmung der Frau mehrere Schritte zurück: Mit einem Beschluss werden Schwangerschaftsabbrüche in vielen Bundesstaaten illegal.

Auch in Deutschland sind Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich eine Straftat und nur unter bestimmten Umständen erlaubt. Laut Jakob – ein Passauer Student, der sich in seiner Freizeit aktiv im Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung engagiert, jedoch seinen vollständigen Namen nicht in den Medien lesen möchte – gibt es weitere Parallelen.

In den USA müssen Frauen in einen anderen Bundesstaat reisen, wenn Abtreibungen im eigenen illegal sind. In Niederbayern gibt es nur eine Praxis in Passau, die Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Entscheiden sich hier Schwangere für eine Abtreibung, müssen sie weite Wege auf sich nehmen.

Schwangerschaftsabbrüche: Schlechte Versorgungslage in Bayern

Die große Gefahr in Deutschland ist laut Jakob nicht, dass Schwangerschaftsabbrüche noch stärker kriminalisiert werden, sondern, dass die Zahl der Praxen, in denen Abbrüche durchgeführt werden, immer weiter zurückgeht. Der Grund: Viele praktizierende Ärzte gehen in den Ruhestand und neue kommen nicht nach. "Im Endeffekt macht es keinen Unterschied, ob es illegal ist oder ob es keine Möglichkeiten gibt", sagt Jakob. In beiden Fällen könnten Schwangere nicht abtreiben.

Die schlechte Versorgungslage ist in vielerlei Hinsicht ein Problem. Bei ProFamilia Passau, wo Schwangerschaftskonfliktberatungen nach Paragraf 218 angeboten werden, weiß man von einigen Patientinnen, die keinen Termin in der Passauer Praxis bekommen haben und deshalb einen Arzt außerhalb Niederbayerns aufsuchen mussten.

Thoralf Fricke, Sozialpädagoge und Leiter von ProFamilia Niederbayern, nennt noch weitere Gründe, warum Frauen sich für einen weiter entfernten Arzt entscheiden: In Passau werden ausschließlich operative Eingriffe durchgeführt.

In Passau werden Abbrüche nur alle 14 Tage durchgeführt

Frauen, die mit der gängigeren medikamentösen Methode abtreiben wollen, müssen oft mehrere Stunden zu einer geeigneten Praxis fahren. Dazu käme, dass in Passau Abbrüche nur alle 14 Tage durchgeführt werden. In der engen Zeitspanne von zwölf Wochen, in der in Deutschland ein Schwangerschaftsabbruch nach der Beratungsregel erlaubt ist, machen zwei Wochen laut Fricke viel aus.

Viele Frauen würden eine Schwangerschaft aufgrund eines unregelmäßigen Zyklus erst sehr spät bemerken und sich erst wenige Tage vor dem Ablauf der zwölf-wöchigen Frist in der Beratungsstelle in Passau melden. Würde man dann noch zwei Wochen warten, wäre ein Eingriff nicht mehr möglich. In diesen Fällen bliebe Frauen nur noch die Fahrt nach München, wo sich die nächstgelegene Praxis für Schwangerschaftsabbrüche befindet.

Neben hohen Anfahrtskosten und dem Zeitaufwand ergeben sich durch eine weite Anreise oft zusätzliche Probleme. "Etwa 60 Prozent der ungewollt Schwangeren haben schon Kinder, teilweise im betreuungspflichtigen Alter", sagt Thoralf Fricke. "Wie erkläre ich jetzt der Schwiegermama, dass sie heute ausnahmsweise das Kind von der Kita abholen muss, weil ich nach München muss und der Partner mit dabei ist?"

Die Tabuisierung spielt eine große Rolle. Sie ergibt sich zu einem großen Teil durch Ablehnung, aber auch Anschuldigungen und Hass gegenüber ungewollt Schwangeren. Sowohl Jakob als auch Thoralf Fricke können dies bestätigen. Vor dem ProFamilia-Büro steht immer wieder ein Abtreibungsgegner, der betroffenen Frauen durch Schilder mit Aufschriften wie "Abtreibung ist Mord" deutlich macht, was er von ihnen hält.

Die Gynäkologin vor Ort will nicht darüber sprechen

Solche Aktionen könnten Jakob zufolge der Grund dafür sein, dass viele Ärzte anonym bleiben wollen. Auch die Passauer Gynäkologin, welche Schwangerschaftsabbrüche durchführt, möchte sich gegenüber der Presse nicht zu dem Thema äußern. Obwohl sie dies seit dem 24. Juni offiziell dürfte. In Passau gibt es eine Vorgeschichte, die diese Entscheidung rechtfertigen könnte.

Thoralf Fricke erzählt von einem ehemaligen Arzt, der bis vor einigen Jahren Schwangerschaftsabbrüche in Passau durchführte. Sowohl vor seiner Praxis als auch vor seinem Privathaus seien immer wieder Personen aufgetaucht, die den Gynäkologen bedrängt und bedroht hätten. Die Sorge vor Anschuldigungen und Hass ist laut dem Sozialpädagogen auch ein Teil der Probleme und Ängste, mit denen Schwangere in das Büro von ProFamilia kommen.

Auch wenn von der neuen Informationsfreiheit nicht alle Ärzte Gebrauch machen, ist es laut Fricke ein erster Schritt in Richtung Enttabuisierung. "Letztlich wird es aber nur dann komplett enttabuisiert werden, wenn wir in unserer Gesellschaft zu einem Punkt kommen, an dem wir anerkennen, dass die Einzigen, die ein Recht dazu haben, zu entscheiden, was mit ihrem Körper passiert, die Personen sind, die schwanger sind, und sonst niemand."

Anders sieht das die Katholische Kirche. "Das ungeborene Leben muss unbedingt geschützt werden, da es keine Chance hat, für sich selbst zu kämpfen", argumentiert ein Pressesprecher des Bistums Passau.

Aus christlicher Sicht hat bereits ein Embryo eine menschliche Identität und ist damit Träger menschlicher Würde. Und diese ist wiederum als unantastbar fest im Grundgesetz verankert. Der Paragraf 218 muss laut dem Bistum unbedingt beibehalten werden, denn um "dem Ungeborenen vom Augenblick seiner Empfängnis an Schutz zuzusichern", müsse das Gesetz auch geeignete Strafen für jede Verletzung seiner Rechte vorsehen.

Dieser Denkweise stellt sich das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung entgegen. Auf Demonstrationen und Kundgebungen fordern die Aktivisten eine bessere Versorgungslage für ungewollt Schwangere. Die Wunschvorstellung: eine endgültige Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und damit die Abschaffung des Paragrafen 218. "Dieser Paragraf", sagt Jakob, "geht davon aus, dass Frauen keine mündigen Menschen sind und dass der Staat ihnen einreden kann, was sie machen sollen."


Anne-Christin Baberske studiert in Passau Journalistik und strategische Kommunikation. Ihr Beitrag ist in einer Lehrredaktion entstanden, die in dem Studiengang integriert ist. Diese wird von der Mediengruppe Attenkofer betreut, zu der auch die AZ gehört

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