Unfassbare Panne: Ein Sex-Täter spaziert in die Freiheit...
...obwohl ihn die Justiz für gefährlich hält und eine Sicherungsverwahrung anordnen wollte. Doch eine Schlamperei bei den Akten verhinderte das.
NÜRNBERG Unfassbare Panne bei der Justiz! Die Staatsanwaltschaft ist mit ihrem Versuch, einen vorbestraften Sexualstraftäter auf unbestimmte Zeit in Sicherungsverwahrung zu stecken, kläglich gescheitert. Grund für das Desaster: schlampige Vorbereitung – und nicht auffindbare Protokolle über das Psycho-Profil des Angeklagten.
Am Ende des drei Tage dauernden Prozesses stand der Vorsitzende der 13. Strafkammer beim Landgericht, Ulrich Flechtner, mit leeren Händen da. Er musste nicht nur den Haftbefehl gegen Klaus H. (34) aufheben. Sondern ihm auch noch eine Entschädigung für gut drei Monate Gefängnis zusprechen!
Bis zum Juli 2000 konnte man Klaus H. getrost als Kleinkriminellen bezeichnen. Ein paar Diebstähle, Sachbeschädigungen und ein Drogendelikt: mehr war nicht. Doch dann, nur sechs Wochen nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis, überfiel er zwei Frauen. Eine konnte fliehen. Die andere wurde Opfer einer brutalen Vergewaltigung. Klaus H. kassierte acht Jahre Knast.
Der Vergewaltiger berief sich auf die ärztliche Schweigepflicht
Schon damals attestierte ihm ein Gutachter eine behandlungsbedürftige Persönlichkeitsstörung. Doch weil der Vergewaltiger hinter Gittern mehrfach ausflippte und handgreiflich wurde, mussten die bereits laufenden Therapiemaßnahmen abgebrochen werden. Das löste bei den Verantwortlichen der Straubinger Haftanstalt Sorge aus. Sie befürchteten, dass Klaus H. eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit darstellt – und nach Ablauf der Strafe definitiv nicht auf freien Fuß gesetzt werden kann. Sie beantragten die Sicherungsverwahrung.
Für die Einschätzung seiner Gefährlichkeit stützte sich die Staatsanwaltschaft vor allem auf die Protokolle eines Würzburger Diplom-Psychologen, der Klaus H. therapieren sollte. Doch der Vergewaltiger berief sich auf die ärztliche Schweigepflicht und untersagte dem Psychologen die Aussage vor Gericht. Von da ab hielt die vom Prozessverlauf völlig überraschte Staatsanwaltschaft den Schwarzen Peter in der Hand. Sie hätte die Protokolle zwar im Gerichtssaal noch verlesen lassen können, doch daraus wurde auch nichts – denn diese Akten sind spurlos verschwunden!
Zwar äußerten sich noch zwei weitere Gutachter, darunter der Chefarzt des Erlanger Bezirkskrankenhauses, Michael Wörthmüller, zum Gefährlichkeits-Potenzial von Klaus H. Doch eine belastbare Antwort fanden auch sie nicht. Wörthmüller: „Da ich den Mann nicht selbst untersuchen konnte, bleibt alles im spekulativen Bereich.“ Auch er hält Klaus H. zwar für gefährlich. Er könne aber nicht voraussagen, ob er weiterhin zu schweren Straftaten neige. Das aber wäre die Voraussetzung für die Verhängung von Sicherungsverwahrung gewesen.
Helmut Reister
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