Trotzige Sandkastenspiele
NÜRNBERG - Christoph Mehlers Inszenierung von Shakespeares „Richard III.“ ist streckenweise eine Zumutung. Dennoch ist der Versuch sehenswert.
Ein bisschen manipulierter Volkswille kann bei einer Machtübernahme nicht schaden, oder? Also stachelt Catesby bei Richards als Schmierentheater inszenierter Ablehnung der Krone das Premierenpublikum zum rhythmischen Anfeuern an. Doch dem ist nicht nach Mitmachen zumute.
Denn Regisseur Christoph Mehler knallt ihm mit seiner Inszenierung von Shakespeares „Richard III." in Thomas Braschs kühler Übertragung einen harten Brocken hin: In pausenlosen drei Stunden wird oft an oder unter der Hörbarkeitsgrenze gesprochen, dann wieder ballern einem dröhnende E-Gitarren um die Ohren. Auch arbeitet Mehler mit Überlagerungen, schiebt Dialoge collageartig übereinander, inszeniert Gefummel, Oralsex und einen nackten Hintern. Das nervt, ja. Einige verließen während der Aufführung den Saal, am Ende gab's etliche Buhs.
Besser als diese Rufe ist die Inszenierung dennoch. „Richard III." muss weh tun. In der Kongresshalle, wo sich zu Beginn der Schauspielhaus-Bauphase Brechts Gauner-Parabel „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" brav über die Bühne schleppte, zeigt Mehler den Aufstiegskampf von Uis Vorbild als klapperndes Machttheater mit Hang zur Schmiere. Keine Ein-Mann-Ego-Show mit austauschbarer Staffage, sondern ein Ensemblestück, dessen Protagonisten alle Dreck am Stecken haben.
Schließlich ist „Richard III." Endpunkt und Summe der Rosenkriege zwischen den Familien York und Lancaster, die sich in England hundert Jahre lang gegenseitig abmetzelten. Nichts für schwache Nerven — und nichts für weiße Westen.
Eine pittoreske Gesellschaft versammelt sich auf dem glatten Kunstmarmor des raumbeherrschenden Podests (Bühne: Nehle Balkhausen), wo niemand den ersten Stein werfen mag, aber in wechselnden Konstellationen fröhlich intrigiert wird. Mehler nimmt's mit Ironie: Gemeinsam ist den sich nur zum Schein Versöhnenden das genervte Aufstöhnen, als die Alt-Königin Margaret (Jutta Richter-Haaser als unerbittlich steinerner Gast) aufkreuzt, um ihre Flüche loszuwerden.
Ansonsten sind sich alle Mörder gleich: Menschlichkeits-Anfälle werden von der Erinnerung an die Gage eingeebnet — weil die Opfer selbst Täter waren. Bis Felix Axel Preißlers Edel-Stricher Tyrell mit verheulten Augen vom Mord an den jungen, noch unschuldigen Prinzen berichtet und im Hintergrund deren Mutter Elisabeth (ein eindringliches Schmerzensbild: Tanja Kübler) stumme Klagelaute ausstößt.
Richard, der für die Krone über Leichen geht, ist also keine Ausnahme. Nur eine Ausnahmeerscheinung: Julia Bartolome spielt ein intelligentes, trotziges Kind, das den Sandkasten dominieren will. Man weiß um Richards kalte Perfidie — und glaubt Bartolomes großen dunklen Augen doch jede Lüge aufs Wort. Weil sie so launig zu krächzen, so naiv zu bitten weiß, weil sie in alle Richtungen flirtet und dennoch ihre Aura von Einsamkeit nie verliert. Ihre Behinderung? Eine Mitleid erregende Geste, die sich durch Macht verflüchtigt. Ihre Mordaufträge? Gelangweilte Spielanweisungen. Ihre Königsherrschaft? Eine Krone überm Nadelstreif, die zu groß ist und immer wieder über die Ohren rutscht, ein Kleben am Stuhl und momentweises Entsetzen über sich selbst. Das geht nicht ab ohne Mitleid für den weinenden Schurken: Am Ende ist die Manipulation doch noch gelungen. Georg Kasch
Nächste Termine: 23. Februar, 6.,7.,9.,11.,13.,14., 31. März, Karten Tel. 01805 / 231600
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