Todkranker Ralf (48): Seine Hoffnungs-Tour durch Europa
FÜRTH - Er will mit seinem Elektro-Rollstuhl von Fürth bis nach Brüssel fahren – das sind täglich 60 bis 80 Kilometer mit einer Geschwindigkeit von 10 km/h
Kater Ricco maunzt und streicht an Ralf Ochslers Rollstuhl vorbei. Der grau-schwarz-weiß getigerte Kater liebt sein Herrchen. „Die Ärzte haben gesagt, ich soll ihn weggeben. Mein Immunsystem ist zu schwach. Wenn er mich kratzt, könnte das eine tödliche Infektion geben. Aber noch lebe ich“, sagt Ralf Ochsler. Noch lebt Ralf Ochsler.
Eigentlich sollte er schon seit zwei Monaten tot sein. Im Januar haben ihm die Ärzte gesagt, wie viel Zeit ihm noch bleibt: ein halbes Jahr. Er hat Lymphdrüsen-Krebs. Die Metastasen sind überall in seinem Körper. Der 48-jährige ist aufgeschwemmt von der Lymphe, die sein kaputtes Immunsystem überallhin pumpt, unkontrolliert. Er wiegt jetzt 240 Kilo, kann sich nur mit seinem elektrischen Rollstuhl fortbewegen.
Ralf Ochsler sitzt auf seinem kleinen Balkon in Fürth. Es ist warm, die Sonne scheint. Ochsler ist freundlich, ruhig. „Ich glaube“, sagt er, „ich lebe noch, weil ich diese Ziele habe. Weil ich mache, was ich will.“ Er sieht nicht wie ein Sterbender aus. Seine Augen leuchten, wenn er von seinem Plan erzählt, von der Logistik, die nötig ist, von seinen Freunden, die ihm helfen, bei seiner Hoffnungsfahrt: Ralf Ochsler will mit seinem Kassen-Rollstuhl ganz alleine nach Brüssel fahren. 640 Kilometer mit 10 km/h Höchstgeschwindigkeit, allein auf der Landstraße. 12 Tage lang ist er unterwegs, er will täglich zwischen 60 und 80 Kilometer mit seinem 800 Watt starken Gefährt zurücklegen. Abfahrt ist morgens um 8 Uhr, Ankunft im Hotel um 18 Uhr. Danach trifft sich Ochsler mit Behindertenverbänden in der jeweiligen Stadt.
„Ich will den behinderten Menschen Mut machen“, sagt er. „Die können ja was tun. Die können raus, etwas unternehmen, statt sich zu vergraben. Mehr Lebensqualität ist das Ziel!“ Dann erzählt der ehemalige Unternehmer, dass es in Fürth 11 Prozent Schwerbehinderte gibt. „Haben Sie die schon mal gesehen?“, fragt er. Ihn wird man sehen, auf den Straßen nach Brüssel. Er hat mit der Hilfe seiner Freunde seinen Rollstuhl aufgerüstet: mit einem Navigationsgerät, einer Wetterstation, einem Anhänger mit Extra-Batterien und einer Warnlampe. Damit ihn niemand überfährt.
Für Ausrüstung, die Hotels und das Begleitfahrzeug, das Ersatzteile mitnimmt, hat er Spenden gesammelt. „Ich lebe von Hartz IV, da könnte ich mir das sonst nicht leisten.“ In Brüssel will er mit EU-Parlamentariern sprechen, ihnen Vorschläge machen, wie man das Leben der Menschen mit Behinderung leichter machen kann. In Berlin war er bereits im Juni, hat sich dort mit Politikern getroffen, seine Anliegen vorgetragen. Heute um 8 Uhr macht er sich auf die große Reise nach Brüssel. Die Strecke ist ausgetüftelt. „Es gibt keine unüberwindbaren Hindernisse“, sagt Ralf Ochsler.
Wenn er dann da war, in Brüssel, dann bleiben noch zwei große Fahrten. „Im September fliege ich in die USA und fahre von Washington nach New York City zur UNO“, erzählt Ralf Ochsler. „Und dann kommt meine letzte Fahrt, zum lieben Gott. Aber da fahre ich ganz alleine.“ Martin Mai
Die AZ begleitet die Hoffnungs-Reise! Ab Montag, den 24. August, können Sie hier jeden Abend online Ralf Ochslers Reise-Tagebuch lesen.
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