Verkehr über die Brennerautobahn: Bürgermeister droht mit Blockade
Gries am Brenner/Innsbruck – Es könnte so schön sein im Wipptal. Grüne Wiesen, felsige Gipfel, gepflegte Dörfer. Wenn da nicht diese gigantische Autobahn wäre. "Gehirntumore, Leber- und Nierenkarzinome, Lungenkrebserkrankungen", zählt Karl Mühlsteiger auf. Er ist Bürgermeister in der Gemeinde Gries am Brenner.
Eine extreme Häufung von Krankheitsfällen nimmt Mühlsteiger wahr in den vergangenen Jahren, selbst bei jungen Menschen. "Das alarmiert uns sehr!", sagt Mühlsteiger im Gespräch mit der AZ.
Immer mehr Verkehr über den Brenner
Der Schuldige aus seiner Sicht: der Verkehr über die Brennerroute. Schlimm sei es in den vergangenen Jahren geworden, weil die Transitfahrten über den Brenner so zugenommen haben. 11,8 Millionen Pkw-Fahrten und 2,5 Millionen Lkw-Fahrten über den Brenner, die in der Tendenz steigend seien, sagt Mühlsteiger.
Neben den gesundheitlichen Problemen sei es auch im Alltag schwierig: "Wir sind in unserer Freiheit sehr eingeschränkt, weil wir kaum mehr wohin kommen an diesen Stautagen."
Mühlsteiger sieht ein großes Risiko in der Sanierung und Verbreiterung der Luegbrücke. Die Brücke, die oberhalb von Gries am Brenner liegt, muss dringend saniert werden. Bis 2030 ist dort mit massiven Einschränkungen zu rechnen.
Gerade für den Schwerverkehr müsse man eine Lösung finden. "Das geht so nicht weiter!", sagt Mühlsteiger. Er hat daher eine Protestaktion angekündigt. Entweder am 14. oder am 21. September soll protestiert werden – die Autobahn wäre an einem dieser Tage von 7 bis 19 Uhr komplett gesperrt.
"Wir wollen nicht die Urlauber blockieren, uns geht es um den Schwerverkehr", sagt Mühlsteiger. Deshalb habe man den Zeitpunkt nach den Ferien gewählt.
Kein Bezug zu Krankheitsfällen?
In einem Bescheid des österreichischen Ministeriums für Verkehr zur Sanierung der Luegbrücke heißt es jedoch angesichts der angeblich um 300 Prozent gestiegenen Krebsfälle rund um die Autobahn: "Ein Bezug zur gegenwärtig in Betrieb befindlichen Autobahn ist aus fachlicher Sicht nicht herstellbar."
Dass es überhaupt mehr Krebsfälle gebe, wird in dem Bescheid offenbar angezweifelt: "Da an allen untersuchten Immissionspunkten im Bestand 2017 die Grenzwerte gemäß IG L (Immissionsschutzgesetz Luft, Anm. d. Red.) eingehalten sind, kann der von der Gemeinde behauptete Anstieg der Krebsfälle nicht auf den Betrieb der Autobahn zurückgeführt werden."
Asfinag: Alles rechtens
Darauf bezieht sich auch der Autobahnbetreiber Asfinag. Ein Sprecher sagt der AZ, dass das Unternehmen alle gesetzlichen Bedingungen einhalten müsse und dies alles wissenschaftlich untersucht worden sei im Vorfeld. "Ansonsten hätten wir keine Genehmigung erhalten", sagt der Sprecher. Zwar habe es Einsprüche gegeben, man habe aber in allen Instanzen recht bekommen.
Mühlsteiger hält dennoch keine andere Erklärung für die Krebsfälle als den Verkehr auf der Autobahn für plausibel: "Wir haben sonst keine anderen Belastungen außer den Feinstaub und den Ultra-Feinstaub."
Mühlsteiger will deshalb, dass ein Tunnel gebaut wird, um die Lebensqualität der Bewohner des Wipptals zu verbessern.
Italien klagt gegen Österreich
Zugleich hat der Transitstreit noch andere Dimensionen. Während Mühlsteiger den österreichischen Politikern vorwirft, dass sie zu wenig tun, sehen das ausländische Politiker ganz anders.
Denn schon jetzt gibt es Beschränkungen, um den Verkehr über den Brenner zu minimieren. Italien hat deshalb gegen Österreich geklagt, weil Tirol gegen EU-Recht verstößt. Die Chancen, dass die Klage Erfolg hat, stehen wohl nicht so schlecht.
Denn die EU-Kommission hatte Österreich bereits gerügt. Das Nachtfahrverbot, das sektorale Fahrverbot für bestimmte Güter und das Winterfahrverbot an Samstagen sowie die Blockabfertigung seien eine Einschränkung für den freien Warenverkehr.
Schließt sich Deutschland der Klage Italiens an?
Für Mühlsteiger ist das Problem, dass die Brennerroute zu günstig ist im Vergleich zu anderen Transitrouten. Zu günstig? Viele Bayern stöhnen über Pickerl und Brennermaut. "Für einen Spediteur ist die Gesamtstrecke relevant", erklärt der Verkehrswissenschaftler Stephan Tischler von der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck.
Die Zulaufstrecken in Italien oder Deutschland zählen auch dazu und sei in beiden Ländern insgesamt günstiger, als wenn man längere Abschnitte durch die Schweiz fahren würde. Dort werde eine leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe abgeführt.
Deutschland hatte zwar nicht mit Italien geklagt, dem Vernehmen nach dürfte die Klage in Deutschland aber auf Unterstützung treffen. Erst im Juli hatte Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) an Tirol appelliert, Gespräche über die Einschränkung des Nachtfahrverbots aufzunehmen. "Wir steuern sonst sehenden Auges auf ein jahrelanges Verkehrschaos zu!", sagte Bernreiter der AZ damals.
Brenner-Basistunnel in weiter Ferne
Zugleich wirft Tirol Deutschland wiederum vor, bei der Schiene zu langsam zu sein. Der frühere Landeshauptmann Günther Platter sagte in einem Interview, Deutschland sei beim Brenner-Nordzulauf im Verzug. Während in Südtirol der Brenner-Basistunnel bereits gebaut wird und Österreich und Italien Trassen gebaut hätten, sei völlig unverständlich, "warum Deutschland so hinterherhinkt". Gegen das Projekt und eine neue Trasse gibt es in mehreren Landkreisen massive Widerstände.
Währenddessen wird in Österreich am 29. September ein neuer Nationalrat gewählt. Am Freitag erschien FPÖ-Chef Herbert Kickl zu einem Termin an der Brenner-Autobahn.
Droht die Gefahr, dass der Rechtspopulist die Debatte um die Brennerroute für seinen Wahlkampf instrumentalisiert? Mühlsteiger, selbst parteilos, traf Kickl nicht an, weil er beruflich verhindert war. In der Gemeinde gebe es laut Mühlsteiger keine öffentliche FPÖ-Fraktion. Er will sich auf keine Seite einer Partei stellen.
Demo noch nicht genehmigt
Noch hat das Land Tirol die Demonstration und deren Umfang nicht genehmigt, erfährt die AZ auf Anfrage. Die Behörde habe vom Antragsteller weitere Details hinsichtlich der genauen Dauer und des Versammlungsortes angefordert, um Stellungnahmen unter anderem von Polizei und Asfinag einzuholen und eine Entscheidung treffen zu können, sagt eine Sprecherin.
Für Urlauber könnte es indes dennoch eng werden. Der Reschenpass ist wegen einer Sanierung von Montag bis Freitag gesperrt, wäre also frei.
Wer aber über die Tauernautobahn ausweichen will, der ist dennoch schlecht beraten: Die Tunnelsanierungen, die über die Hauptreisezeit ausgesetzt waren, gehen voraussichtlich ab 10. September wieder weiter - dort ist mit Staus zu rechnen.
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