Tiefenbohrung im Ich

Das Tagebuch als Phänomen: „@bsolut?privat!“ als Sonderschau im Nürnberger Museum für Kommunikation
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Tagebuch-Zitate dienen als Ausstellungs-Fundament – auch dem kleinen Matteo im Nürnberger Museum für Kommunikation.
Berny Meyer Tagebuch-Zitate dienen als Ausstellungs-Fundament – auch dem kleinen Matteo im Nürnberger Museum für Kommunikation.

NÜRNBERG - Das Tagebuch als Phänomen: „@bsolut?privat!“ als Sonderschau im Nürnberger Museum für Kommunikation

Walter Kempowskis karteikastentiefes „Echolot“ sieht man, Goebbels’ Aufzeichnungen, die er für die Nachwelt in Mikrofiche-Version erstellen ließ, Anne Frank sowieso und Johann Wolfgang von Goethe. Eisern in der Disziplin und übersichtlich im Ertrag, wie der Olympier, der 54 Jahre lang Tagebuch geführt hat und mit mäßiger Bannkraft den Ein- und Ausgang von „geistigem Kapital“ in seinem „Schreib-Calender“ registrierte.

Da kann der Blogger des 21. Jahrhunderts mitunter locker mithalten, wie diese Sonderschau belegt, die von Frankfurt aus unters Dach des Nürnberger Museums für Kommunikation gewandert ist. „@bsolut? privat!“ spürt der Jahrhunderte alten Tiefenbohrung in Selbstfindung und -darstellung nach und lässt dabei der aktuellen Lagerspaltung – hier die Tagebuchschreiber als gestrige Jammerlappen, da die Weblogger als exhibitionistische Legastheniker – wenig Chancen. Absolut.

Der Besucher tritt die Erinnerung unweigerlich mit den Füßen: Zitate von Else Buschheuer, Kafka („Ich werde das Tagebuch nicht mehr verlassen“) bis Tucholsky bilden das kalendarisch sortierte Teppichboden-Fundament für eine Egotripgemeinschaft, die mit den Medien geht.

Man muss sich dennoch förmlich hineinbeugen: In den Vitrinen sind – bei intimem Schummerlicht, das zum erklärten Privatbereich passt – Schulhefte, Taschenkalender, Kladden gestapelt von Promis und Normalos. In Schön-, Geheim- oder Krakelschrift, mit Zeichnungen, Blumen und Fotos versehen, mit Pubertätsnöten, Reiseeindrücken oder Essensfahrplänen. Es geht auch um private Öffentlichkeit, die von manchem Autor schon so angelegt war, aber im Web-Zeitalter erst recht so verstanden wird. Der Gedankenraum als „öffentliches Wohnzimmer“, wo sich wie bei der populären Webloggerin Andrea Diener und Theaterautor Rainald Goetz (dessen Internet-Projekt hieß „Abfall für alle“) die Erfassung von Zeit und Gegenwart mit literarischem Experiment begegnen. Die erstaunliche Neugier belegt die immerwährende Sehnsucht, dabei Geheimnisse zu entdecken. daer

Museum für Kommunikation (Lessingstr. 6): bis 15. Februar, Di-Fr 9-17 Uhr, Sa/So 10-18 Uhr. Begleitbuch: 34,50

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