Szenen einer Ehe aus dem Garten Eden

Mit der Aufführung von „Paradise Lost“ von Johann Christoph Schmidt beziehungsweise John Christopher Smith the Younger in Ansbach erreichte der „Fränkische Sommer“ früh seinen Höhepunkt
von  Abendzeitung
Erfolgreicher Schatzgräber: Wolfgang Riedelbauch.
Erfolgreicher Schatzgräber: Wolfgang Riedelbauch. © Berny Meyer

Nürnberg - Mit der Aufführung von „Paradise Lost“ von Johann Christoph Schmidt beziehungsweise John Christopher Smith the Younger in Ansbach erreichte der „Fränkische Sommer“ früh seinen Höhepunkt

Selbst Wurzelbehandlungen können manchmal die gute Laune steigern: Zwar bohrt Wolfgang Riedelbauch bei seinen Musik-Projekten immer gern tief ins Vergangene hinein und kompensiert örtliche Betäubung mit der eigenen Euphorie, aber wenn er fündig geworden ist, kann ihn kein noch so offen liegender Nerv schrecken. So wie jetzt bei der Doppelaufführung von „Paradise Lost“, die eine Rückkoppelung von London/GB nach Ansbach/Mfr organisierte und wohl schon den Höhepunkt seines Wanderfestivals „Fränkischer Sommer 2008“ gebracht hat.

Getauft und verheiratet wurde Johann Christoph Schmidt in der Ansbacher Johanniskirche, die grade zu den Feiern ihres 550. Geburtstages ansetzt. Aber als sein jetzt erstmals dort aufgeführtes Oratorium „Paradise Lost“ im Jahre 1760 in London das Licht der Konzert-Bühne erblickte, hieß der Komponist längst John Christopher Smith the Younger und emanzipierte sich vorsichtig von Übervater Händel. Ein Netzwerk von historischen Kreuz- und Querverbindungen, wie es der „Franconia“-Schatzgräber Riedelbauch gerne als Trampolin für große Sprünge nutzt. Zwei überfüllte Aufführungen der britischen Rarität mit der schmeichelhaft angeklammerten Behauptung fränkischer Ursprünge, geadelt durch die Zuwendung der allzeit himmlischen Sopranistin Emma Kirkby, bestätigten die Lust am unverbrauchbaren Klang von gestern. Da war der Jubel einhellig.

Zunächst sieht das mehr nach Eva Hermann als nach John Milton aus, wenn – kaum ist die Welt erschaffen und das Apfel-Paradies bezugs- und verführungsfertig – die Urmutter Eva jauchzend „die Wonnen des ehelichen Gehorsams“ preist. Da muss der Hörer von heute einstimmungsmäßig akzeptieren, dass Emanzipation vor 250 Jahren kein vordringliches Thema war, aber auch der Respekt vor großer Literatur bei Musikern begrenzt blieb. Schmidt/Smith hat, ganz wie der berühmte Freund Händel, das biblische Szenario als Inspirations-Kulisse genommen und dann Miltons nachvollziehbaren Pessimismus mit zünftigem Halleluja durchgefegt.

Als Dirigent verließ sich Riedelbauch, der in den wunderbaren Duett-Momenten von Instrumenten und Stimmen bescheiden beiseite trat, auf die erstklassigen Musiker um die Solisten von London Baroque und das Sänger-Quartett. Das konnte er auch. Adam und Eva auf gleicher Augen-und Stimmhöhe (Sopran Emma Kirkby im Pumphosen-Kampfanzug mit Countertenor Tim Mead) schufen akustische Blütenträume im Paradies, nachträglich überzeugender als sie etwa Penderecki in seiner 220 Jahre jüngeren, mit nackten Sängern aufwartenden Ver-Operung des Stoffes gelangen.

Bei den Einsätzen des extra versammelten fränkischen Projekt-Chores ging der berühmte Ruck durchs Pult. Riedelbauch, der den Klang sonst begleitete, feuerte das Kollektiv exakt strukturkantig an und konnte seine Begeisterung übertragen. Musikarchäologische Erörterungen über reformerische Spurenelemente mit Gluck-Doping für die Händel-Kondition mussten nicht vertieft werden. Wie das bei echten Juwelen so ist – sie glänzen über die Mattstellen ihrer Fassung hinweg. D.S.

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