Streit um bayerisches Traditionsgebäck: "Völlig an der Realität vorbei"

Einen Lebkuchen und dampfenden Glühwein in den Händen halten, während man durch Straßen voller warm leuchtender Lichterketten schlendert, ist ein Bild, das den meisten bekannt vorkommen müsste.
Wie jemand statt des Lebkuchens seinen eben gekauften Christstollen aus der Plastikverpackung nestelt und unterwegs in das lange Gebäck unverfroren hineinbeißt, dürften hingegen die wenigsten zu Gesicht bekommen.
Konditoren-Innung Bayern: "Ein Stollen dieser Größe wird zu Hause aufgeschnitten"
Trotzdem gilt der 750-Gramm-Christstollen wegen einer Allgemeinverfügung des Umweltbundesamts (UBA) jetzt als Gebäck, das sich zum Sofortverzehr eignet – entgegen der Empfehlung der Einwegkunststoffkommission. Die Folge: Pro Stollen muss eine Abgabe in Höhe von 0,39 Cent gezahlt werden – also rund 80 Cent pro Kilogramm Folie. Obendrauf kommen noch die Kosten für den bürokratischen Aufwand: Arbeitskraft wird gebunden, um Dokumente und Erklärungen zu erstellen.

Das stößt auf wenig Verständnis. Daniela Sauer, die Geschäftsführerin der Konditoren-Innung Bayern, sagt der AZ, es sei "völlig an der Realität vorbei, einen 750-Gramm-Stollen zum Sofortverkehr einzustufen". Weiter führt sie aus: "Ein Stollen dieser Größe wird zu Hause aufgeschnitten und in feierlichem Rahmen schön präsentiert."
Ob Stollen unterwegs oder zu Hause gegessen wird, ist egal
Das UBA begründet die Einstufung auf Nachfrage der AZ damit, dass laut dem Einwegkunststofffondsgesetz lediglich relevant sei, ob das Produkt "für den unmittelbaren Verzehr objektiv geeignet" ist. Will heißen: Wenn es ohne weitere Zubereitung gegessen werden kann, fällt es rechtlich darunter. Ganz egal, ob das unterwegs oder erst zu Hause passiert.
Die Einwegkunststoffkommission hatte hingegen in ihrer Empfehlung argumentiert, dass die Portionsgröße zu groß für den unmittelbaren Verkehr sei. Dem widerspricht ein Sprecher des UBA so: "Für Folien- und Tütenverpackungen gibt es im Hinblick auf die Abgabepflicht keine Größenbegrenzung."
Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) Bayern kritisiert daran: "Das bayerische Bäckerhandwerk befindet sich in einer äußerst angespannten Situation. Angesichts der hohen Energiekosten und der unsicheren Marktlage braucht die Branche keine weiteren Bürokratiehürden und sicher keine zusätzlichen Abgaben."
Christstollen wird für Kunden teurer
Denn: "Eine zusätzliche Belastung durch anstehende Dokumentationen und zusätzliche Abgaben müsste im Endprodukt einberechnet werden", sagt Sauer von der Konditoren-Innung Bayern. Heißt: Für die Kunden wird’s teurer. Für manch einen womöglich zu teuer, der dann doch lieber auf die Discounter-Variante zurückgreift.

Und für kleine Handwerksbetriebe bleibt weniger Zeit zum Backen, denn dort müssen Inhaber meist selbst die Dokumentation erstellen. "Es müsste eine Berechnung der eingesetzten Folien stattfinden, die speziell für dieses Produkt verwendet wird", sagt Sauer. Folien für einen 1000-Gramm-Stollen fielen schließlich nicht darunter.
Deutsche Umwelthilfe: Anreiz für weniger Plastikverpackungen
Rückendeckung bekommt das UBA von der Deutschen Umwelthilfe. Die teilt auf Anfrage der AZ mit: "Durch die Mittel des Einwegkunststofffonds werden nicht nur die Kommunen entlastet, deren Aufgabe es ist, den Müll aus dem öffentlichen Raum zu entsorgen, sondern es entsteht auch ein Anreiz für Unternehmen weniger Plastikverpackungen einzusetzen."
Ob die Abgabe auf Verbraucher den Effekt hat, auf Produkte mit kunststofffreien Verpackungen auszuweichen, ist laut UBA noch nicht bekannt, da sie in diesem Jahr zum ersten Mal erhoben wird.
Eine denkbare Alternative zur Folie wäre laut Sauer Wachspapier. Das Problem daran: Es erfülle nicht die erforderlichen Eigenschaften der Frischhaltung und sei blickdicht. "Vermutlich würden die meisten Betriebe auf größere Stollen ausweichen, die von der Regelung nicht betroffen sind." Die Krux daran laut Sauer: Ein "nicht geringer Anteil" an Stollen ist bereits produziert und zur Qualitätssicherung eingelagert.