Serie: Mit schamlosen Lügen rettete Speer seinen Kopf
In den Nürnberger Prozessen wurde Hitlers Architekt und Rüstungsminister zu 20 Jahren Haft verurteilt.
NÜRNBERG Er hat alle schamlos belogen: Richter, Staatsanwälte, die Öffentlichkeit - und wahrscheinlich sogar sich selbst. Wie tief Hitlers Stararchitekt und Rüstungsminister Albert Speer tatsächlich im braunen Sumpf des Dritten Reichs verstrickt war, kam erst vor wenigen Jahren, lange nach dem Tod des „Führer“-Günstlings, heraus. Bis dahin galt er als der vermeintlich Gute unter den Bösen.
Albert Speer (geboren 1905) hat seinen Kopf mit einer subtilen, allerdings auf Verdrängung und Lügen aufgebauten Strategie im wahrsten Sinn des Wortes aus der Schlinge ziehen können. Während Göring & Co nicht nur die Zulässigkeit von Anklagepunkten wie „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bestritten, sondern auch dem Gericht die grundsätzliche Existenzberechtigung absprachen, schlug der smarte Kunstliebhaber Speer eine moderatere Tonart an.
Sich so weit durchzuringen, irgendeine persönliche Schuld an den NS-Gräueltaten einzugestehen oder wenigstens eine gewisse Kenntnis davon zu haben, schaffte Albert Speer nicht. Das Herunterspielen seiner Rolle brachte sogar den amerikanischen Chefankläger Robert Jackson in Rage – er sagte vor Sarkasmus triefend: „Wir haben hier einen Bevollmächtigten für die Kriegswirtschaft, der geheim die ganze Kriegswirtschaft leitete, jedoch keine Ahnung hatte, dass dies irgendetwas mit dem Krieg zu tun hätte.“ Trotzdem sammelte Speer Pluspunkte, weil er im Gegensatz zu den anderen Angeklagten das Internationale Militärgericht und die Nürnberger Prozesse für durchaus angemessen hielt – so lange es ihn nicht persönlich betraf. Das Gericht revanchierte sich mit einem Verzicht auf die Todesstrafe und schickte ihn für 20 Jahre (Entlassung 1966) hinter Gitter. Für das Gericht und die Weltöffentlichkeit war er der lebende Beweis dafür, in dem Verfahren der Gerechtigkeit und nicht der Rache den Vorzug gegeben zu haben.
Albert Speer profitierte allerdings auch von einem ganz anderen Umstand. Trotz glänzender Organisation und riesigem Personaleinsatz war die unglaubliche Aktenflut an Beweismaterial von den Ermittlern nämlich nicht zu bewältigen. Viele Vorgänge gingen in der gewaltigen Menge einfach unter. Auch der Schriftverkehr und Pläne, die belegen, dass der vom Massenmord an den Juden angeblich nichts wissende oder auch nur ahnende Rüstungsminister am Ausbau von Auschwitz direkt beteiligt war, befanden sich darunter. Historiker entdeckten das Material, das Albert Speer in den Nürnberger Prozessen den Kopf gekostet hätten, erst 60 Jahre nach Ende des Dritten Reichs.
Den Draht zu Hitler hatte Speer in den 30er Jahren gezogen, als er im Auftrag der NSDAP verschiedene Immobilien umgestaltete. Seine Dienste als Architekt nahm unter anderem Joseph Goebbels in Anspruch, der ein klassizistisches Gebäude in Berlin zum Sitz des Propagandaministeriums machte. Goebbels war zufrieden und schlug Speer bei Hitler als architektonischen Gestalter für die Nürnberger Reichsparteitage vor. Das Aufmarschgelände mit der mächtigen Steintribüne und das Kolosseum zeugen noch heute von seinem monumentalen Baustil, der beim Führer so gut ankam. Etliche der geplanten Bauten konnten kriegsbedingt allerdings nicht umgesetzt werden. Vorgesehen war, der ganzen Stadt ein neues Gesicht zu geben. Auch die Reichskanzlei in Berlin entwarf Speer, der 1937 zum Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt (GBI) ernannt wurde. Seine Hauptaufgabe war der Umbau Berlins zur geplanten Welthauptstadt Germania, die alle Metropolen in den Schatten stellen sollte.
Den endgültigen Aufstieg in den engsten Machtzirkel des NS-Regimes schaffte Speer, als er 1942 von Hitler zum Rüstungsminister ernannt wurde. Mit Hilfe von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen, von denen viele aufgrund der Arbeits- und Lebensbedingungen starben, steigerte Speer die Produktion von Waffen um ein Vielfaches. Vom Schicksal der gequälten Arbeitskräfte will Speer nichts gewusst haben.
20 Jahre lang, bis 1966, saß Speer im Spandauer Kriegsverbrecher-Gefängnis. Nach seiner Entlassung veröffentlichte er zwei Bücher, die zu Bestsellern wurden und ihn zum Millionär machten. Von einer persönlichen Schuld an den furchtbaren Gräueltaten des NS-Regimes ist darin kein einziges Wort zu lesen.
Helmut Reister
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