Seine Tochter ist tot: Ein Vater nimmt Rache an Dr. Horror

Rentner André B. (72) entführte den Arzt Dieter K. (73) nach Frankreich und übergab ihn der Polizei – er hält den Mann, der einst illegal in Rödental bei Coburg praktizierte, für den Mörder seiner Tochter.
von  Abendzeitung

Rentner André B. (72) entführte den Arzt Dieter K. (73) nach Frankreich und übergab ihn der Polizei – er hält den Mann, der einst illegal in Rödental bei Coburg praktizierte, für den Mörder seiner Tochter.

KEMPTEN/COBURG 27 Jahre lang musste André B. (72) durch ein Gefühlsbad gehen, das nur aus Trauer, Verzweiflung und Wut bestand. Lediglich die Hoffnung, eines Tages so etwas wie Gerechtigkeit zu erfahren, hielt ihn in aufrecht. Um diese Gerechtigkeit auch tatsächlich zu erleben, wurde der Rentner zum Kriminellen. Er ließ den Mann, den er für den Mörder seiner Tochter (†15) hält, von Scheidegg im Allgäu bis nach Frankreich entführen – und sitzt jetzt selbst in Haft...

Dr. Dieter K. (73), in Franken auch als „Dr. Horror“ bekannt und in Lindau am Bodensee praktizierender Kardiologe, zählte in seiner Heimatregion bis weit in die 90er Jahre hinein zu denen, die man gern als Honoratioren bezeichnet. Die Tatsache, dass er seine Ehefrauen schneller wechselte als mancher sein Hemd, reduzierte sein Ansehen ebenso wenig, wie die ausgesprochen unangenehmen Strafverfahren, die gegen ihn liefen.

Am 10. Juli 1982 war seine Stieftochter Kalinka (15) tot, das Kind seiner vierten Ehefrau. Der leibliche Vater ist der in Südfrankreich lebende André B. Er ist überzeugt davon, dass Dr. Dieter K. das Mädchen ermordete, um eine vorangegangene Vergewaltigung zu vertuschen. Seitdem ist er hinter dem in Scheidegg wohnenden Arzt mit allen erdenklichen Mitteln her.

Die blutige Spur führt vom Allgäu bis nach Frankreich

Bei der Polizei des beschaulichen Allgäu-Stadtchen ging am vergangenen Samstag, kurz vor Mitternacht, ein Notruf ein. Ein Spaziergänger hatte auf der Straße eine zerbrochene Brille und massive Blutspuren entdeckt. Die Ermittlungen der Polizei führten sehr schnell zu dem Ergebnis, dass Blut und Brille dem in unmittelbarer Nähe wohnenden Dr. Dieter K. gehören könnten. Doch von ihm fehlte zunächst jede Spur. Das Rätsel seines Verschwindens war wenige Stunden später gelöst. Vor dem Justizgebäude in Mühlhausen (Frankreich) fanden Polizisten nach einem telefonischen Hinweis den leicht verletzten und an Handen und Füßen gefesselten Dr. K.

Inzwischen besteht kaum mehr ein Zweifel, dass André B. mehrere Männer aus Osteuropa angeheuert hat, um den Allgäuer Arzt zu entführen. Die Staatsanwaltschaft in Kempten bestätigte gestern, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Derzeit befindet er sich in französischem Gewahrsam.

Zu einem Gezerre auf Diplomaten-Ebene könnte sich allerdings die Frage entwickeln, ob der entführte Arzt an die Bundesrepublik ausgeliefert wird, denn auch er sitzt in Haft. Während die deutschen Behörden die Ermittlungen in Zusammenhag mit Kalinkas Tod gegen ihn nach kurzer Zeit einstellten, wurde er 1995 von einem Pariser Schwurgericht in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt. Seitdem bestand auch ein europäischer Haftbefehl gegen ihn.

Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens auf deutscher Seite stieß bei Kalinkas leiblichen Vater auf harsche Kritik. Er spricht davon, dass Dr. K. von den deutschen Behörden stets mit Samthandschuhen angefasst wurde. Ein Argument, dass durchaus nicht aus der Luft gegriffen scheint. Auch 1997 kam Dr. Dieter K. in einem Strafverfahren überraschend milde davon.

Für die Narkotisierung und anschließende Vergewaltigung einer jungen Patientin (16) erhielt er eine zweijährige Bewährungsstrafe. Im Sommer 2007 wurde Dr. K. darüber hinaus vom Landgericht Coburg wegen vielfachen Betrugs zu einer weiteren, relativ milden Haftstrafe (26 Monate) verurteilt. Nach dem Entzug seiner Zulassung hatte er im oberfränkischen Rödental trotzdem weiter als Arzt gearbeitet.

Helmut Reister

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