Seelischer Tiefgang und Schwelgerei

Das 9. Internationale Kammermusikfestival Nürnberg eröffnete mit furiosen Konzerten
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Schwelgen im Kerzenschein: der Eröffnungsabend des 9. Internationale Kammermusikfestival in der Nürnberger Burg.
news5 Schwelgen im Kerzenschein: der Eröffnungsabend des 9. Internationale Kammermusikfestival in der Nürnberger Burg.

Nürnberg - Das 9. Internationale Kammermusikfestival Nürnberg eröffnete mit furiosen Konzerten

Mit Pauken und Trompeten kann ein Kammermusikfestival nicht eröffnen, klar. Violinist Benjamin Nabarro und Andrew West ergriffen die Flucht nach vorne – und begannen am Freitagabend Konzert und Festival mit Prokofjews fünf Melodien op. 35, deren Lautstärke und Aufwühlpotential in etwa der Helligkeit des Kerzenscheins entsprach, mit dem der Rittersaal in der Kaiserburg geflutet wurde. Nabarros Geigenspiel neigte allerdings zu sehr in Extreme: die Pianostellen erdumpften, während die Fortepassagen mit allzu schneidendem Ton schrillten. Doch passte dieser Klang bestens zu Dmitri Schostakowitschs e-Moll-Klaviertrio, dem Finalstück des ersten Konzerts. Das stellenweise unspielbare Trio veranlassten Nabarro, West und die Cellistin Sally Pendlebury zu einem furiosen Klangspektakel.

Ein russischer Abend in einer fränkischen Mittelalterburg, wo in der Pause Brezen und heimatlicher Gerstensaft verkauft wurden – die Quadratur des Kreises gelang vorzüglich. Gleich nach der fränkischen Pause verdunkelte Baritonsänger Roderick Williams die fränkische Freitagabendheiterkeit und besang mit vier Liedern von Alexander Borodin bedrohliche Märchen- und Zauberwelten. Jedem einzelnen Schauerlied verlieh er ein eigenes Timbre, mal kopfig-lyrisch, mal mit dröhnender Bruststimme. Es war nur ein kurzer Auftritt, doch war es die hoffnungsvolle Vorausschau auf den folgenden Samstagabend. Von der russischen Kaiserburg ging es da hinab in die italienischen Gefilde des Katharinensaals. Dort gedachten Williams, seine Duopartnerin Sophie Daneman und erneut Andrew West am Flügel des Geburtstages von Hugo Wolf, der in März 150 Jahre alt geworden wäre. Sein „Italienisches Liederbuch“ mit 46 Gesangsminiaturen, die gerade einmal ein knapp 90-minütiges Konzertprogramm ergeben, war das genaue Gegenprogramm zum Abend davor.

Williams als Liebender und seine Geliebte, verkörpert von Sophie Daneman, eint in der Darstellung eines: die Fähigkeit von Liebenden, keine Lächerlichkeit auszulassen. Die männliche Melodramatik und weibliche Kratzbürstigkeit verkörperten die beiden Sänger stimmlich perfekt und überschritten dabei nicht nur einmal die Grenze zum Slapstick, wobei das Klavierspiel von Andrew West sie mutwillig dazu antrieb. Der bot an beiden Abenden ein facettenreiches Spiel mit scheinbar unkontrollierter Schwelgerei – im Falle Hugo Wolfs mit wunderschönen romantischen Melodien, im Falle der russischen Komponisten mit seelischem Tiefgang. Maximilian Theiss

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