Schwellenängste der Nürnberger

In der Schlange stehen nervt – doch für eine Kunstausstellung warten viele Menschen freiwillig stundenlang. Warum? Und vor allem: Weshalb steht in Nürnberg niemand an?
von  Abendzeitung
Besuchermagnet mit 15000 Besuchern im Neuen Museum Nürnberg: „Modulation – Arbeiten in situ“ von Daniel Buren.
Besuchermagnet mit 15000 Besuchern im Neuen Museum Nürnberg: „Modulation – Arbeiten in situ“ von Daniel Buren. © Berny Meyer

Nürnberg - In der Schlange stehen nervt – doch für eine Kunstausstellung warten viele Menschen freiwillig stundenlang. Warum? Und vor allem: Weshalb steht in Nürnberg niemand an?

Die Neo-Rauch-Ausstellungen in München und Leipzig, die Kirchner-Schau in Frankfurt, die Kahlo-Retrospektive in Berlin - immer häufiger melden Museen rekordverdächtige Besucherzahlen. Allein zur Frida Kahlo-Werkschau im Martin-Gropius-Bau, die gestern zu Ende ging, kamen weit mehr als 200 000 Menschen! Am Schluss mussten Besucher fast sieben (!) Stunden warten, ehe sich auch für sie endlich die Tür öffnete. Was macht eine Ausstellung so attraktiv? „Der Kultursektor ist ein großer Faktor in unserem Freizeitangebot geworden“, sagt die Berliner Kuratorin Gabriele Knapstein.

Gruppenreisen wie auch Privaturlauber planten zunehmend einen Teil ihrer Zeit dafür ein. „Das kulturelle Gemeinschaftserlebnis ist für viele wichtig“, sagt die Ausstellungsmacherin vom Hamburger Bahnhof, einem renommierten Berliner Museum für Gegenwartskunst. Der Berliner Galerien-Präsident Werner Tammen, der die Szene seit mehr als 30 Jahren beobachtet, spricht von einer zunehmenden „Eventisierung“ der Kultur: Seit den Anfängen der Loveparade in den 90er Jahren würden immer mehr kulturelle Ereignisse zu Events hochstilisiert. Damit sei es jedoch auch gelungen, Schwellenängste abzubauen: „Es besteht gesellschaftlicher Konsens, dass die breite Teilhabe an kulturellen Ereignissen ein ganz wichtiges Gut ist.

In Nürnberg fand der letzte vergleichbar massive Hüpfer über die Schwellenangst im Jahr 1971 statt. Damals besuchten 360000 Menschen im Dürer-Jahr das Germanische Nationalmuseum (GNM). Und 1993 kamen anlässlich der „Ludwigslust“-Schau noch einmal 180000 Kunstsinnnige. Im Neuen Museum gab es die großen Schlangen nur kurz nach der Eröffnung des architektonisch ansprechenden Baus. Zwar waren die Ausstellungen „Abstrakte Kunst“ aus dem Jahr 2000 oder jüngst die Daniel Buren-Retrospektive mit je 15000 Besuchern auch recht erfolgreich. Doch etwa die Botticelli-Schau im Frankfurter Städel-Museum lockte kürzlich fast 370 000 Besucher.

Der Hauptgrund, warum Nürnberger Museen in letzter Zeit kein derartiger Mega-Besuchermagnet sind, ist das liebe Geld. Denn zwar könnte man sich auch bei dem auf Zeitgenössisches spezialisierten Neuen Museum große Namen wie Neo Rauch vorstellen. „Aber alleine die Versicherungs- und Transportkosten würden unser Budget bei weitem sprengen“, erklärt Pressesprecherin Eva Martin. Ähnlich schätzt Andrea Langer, die Marketingchefin des GNM, die Blockbuster-Losigkeit Nürnbergs ein: „Wobei das Budget nur ein Punkt aus einem Strauß von Möglichkeiten ist, warum eine Ausstellung ein Erfolg wird. Das hängt zum Beispiel nicht unbedingt am Standort – wie man an der Ausstellung „Kunst und Kalter Krieg“ aus dem letzten Jahr sehen kann. Die war auch in Berlin vom Publikumszuspruch her eher enttäuschend.“ Ebenso spielt das Marketing und die Profil-Ausrichtung des Museums eine entscheidende Rolle. Aber ein deutschlandweiter Werbe-Auftritt kostet: Geld.

Immerhin: Vielleicht müssen sich die Nürnberger bald wieder auf Warteschlangen vor einem Museum einrichten. Denn 2012 soll im GNM eine neue, große Dürer-Schau starten. Und bis dahin bleibt ja immerhin noch die Blaue Nacht – auch eine Art Kunst-Schlange, nur durch die ganze Altstadt und mit Bratwurst und Bier. M. Mai/N. Weigelt

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