Schwarze Späße am Sarg
„Ehrlich & Söhne“: Der neue Roman des Fürther Schriftstellers Ewald Arenz wärmt sich an wuchernden Familien- Erinnerungen und sichert mit Krimi-Spannung ab
Schweifende Dramatik und großdeutscher Humor sind unumgänglich in dieser unmöglichen Familie, in der ein Halodri-hafter Großvater Wolfgang Wagner und der (humorlos endende) Streichelhund Heinz Rühmann heißen. Der in Nürnberg und Fürth mehrfach ausgezeichnete Ewald Arenz wäre nicht der führendste und fließbandartigste Nostalgiker unter Frankens Autoren, wenn er sich nicht auch mit dem neuen Roman „Ehrlich & Söhne – Bestattungen aller Art“ vorwärts in die Vergangenheit schreiben würde. In eine Zeit, als die neue Familienministerin noch gar nicht geboren war. Und mit ihr Patchwork-Beziehungen und iPod-Posen. Dafür summen Bienen und Poesie als Soundtrack im Hintergrund. Nach dem bestsellernden „Duft von Schokolade“ testet Arenz nun die Gerüche der Kindheit. Noch ein Sinn des Lebens.
Spritztouren im Leichenwagen, handgreifliche Späße am Sarg, ein Wegelagerer-Polizist als Running Gag: Mit Geschmacks- und Geruchsverstärkern wird da nicht gegeizt, um die „kleine Sehnsucht nach der für immer verlorenen Naivität der Jugend“ herauszufordern. Und damit doch noch auf die andere Seite des holzwurmigen Alltags wechseln zu können, wo Abenteuer und die „großen Dinge“ laufen. Oder „eine kleine Revolution wenigstens“.
Deshalb taucht in der schwarzhumorig ausgeschlagenen Geschichte – schließlich kreist und reist alles um die Familie des Bestattungsunternehmer Friedrich Ehrlich – auch ein neurotischer RAF-Terrorist auf, der vor 25 Jahren eine Gesinnungsgenossin mit Ehrlichs Pistole hinrichtete und dem armen Spezialisten für Tote aller Art eine Leiche im Keller – „unter fünfundzwanzig Zentimeter Estrichbeton“ – bescherte. Die landet wegen Hausabbruchs wieder im heutigen Bewusstsein und löst einen Erpressungsversuch mit Knalleffekt aus.
Der kriminelle Zug sichert dem Buch, das sich am Zeitlos- und Zwanglos-Gefühl wuchernder Erinnerungen wärmt und die Beerdigung der Großmutter als Sprungbrett in die komödiantische Handlung nimmt, einen Spannungs-Showdown. Aber eigentlich geht es Arenz in dem liebevoll ausgemaltem Album um Familie als „Prüfung“, um das Außergewöhnliche im Altmodischen. Hoffnungsklammer: Das kann doch noch nicht alles gewesen sein.
Also packt Arenz reichlich skurrile Verwandte rein, die beim Leser als „Lackmustest“ realer Erfahrungen glaubwürdigst funktionieren. Die selbstbewusste Künstler-Großmutter, die Adoptivschwestern aus Vietnam und Indien (voll sozial, dieses Gesellschafts-Signal) der Onkel, der Studentinnen gerne was geigt, die Tante, die auch Halbschwester ist. Und nicht nur Krebs hat, sondern auch ein Verhältnis mit ihrem Neffen Sam hat.
Als ältester Ehrlich-Sohn ist er Ich-Erzähler auf der Gegenwartsebene. Arenz switcht im Gegenschnitt zwischen den Zeitebenen hin und her (von der Flucht aus Danzig bis zu Sams Ehekrise von heute). Dieser anstrengende (und nicht zwingend logische) Perspektivenwechsel blockiert den Unterhaltungssprachfluss in der ersten Hälfte. „Unsere Familie. fand ich, war manchmal wirklich anstrengend“, sagt Samuel Ehrlich irgendwo. Man bekommt nichts geschenkt, auch im Roman nicht.
Andreas Radlmaier
„Ehrlich & Söhne – Bestattungen aller Art“ (Ars vivendi Verlag, 424 Seiten, 19,90 Euro)
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