Schleuser-Banden: Kein Platz für Würde

Sie kommen in engen Kisten, Containern oder im Kofferraum – und zahlen Schleusern hohe Summen für ein Leben in Bayern. Hier erklären Ermittler, wie die Flüchtlinge zu uns gelangen.
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Sie kommen in engen Kisten, Containern oder im Kofferraum – und zahlen Schleusern hohe Summen für ein Leben in Bayern. Hier erklären Ermittler, wie die Flüchtlinge zu uns gelangen.
Bundespolizei Sie kommen in engen Kisten, Containern oder im Kofferraum – und zahlen Schleusern hohe Summen für ein Leben in Bayern. Hier erklären Ermittler, wie die Flüchtlinge zu uns gelangen.

Sie kommen in engen Kisten, Containern oder im Kofferraum – und zahlen Schleusern hohe Summen für ein Leben in Bayern. Hier erklären Ermittler, wie die Flüchtlinge zu uns gelangen.

Am 10. April sind es vier Buben aus Afghanistan. Polizeikontrolle Im Intercity aus Salzburg, keine Papiere dabei, Ausstieg in Bad Endorf – sie sind 6300 Kilometer von zuhause entfernt. Am 21. Februar sind es zwei Tunesier (28, 40) und ein Libyer (30). Sie stecken in einem Kühl-Laster in Rosenheim. Seit Tunesien sind sie da drin. Tage ohne Essen und ohne Wasser, bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. Am, 9. Februar sind es zwei Iraker. Kontrolle am Bahnhof Rosenheim. Sie sind im Laster hergekommen, eine Woche auf der Ladefläche zwischen Kartons. Plastiktüten als Klo. Es sind neun verschiedene Menschen, doch sie haben das gleiche Ziel und eine ähnliche Geschichte. Sie sind bitterarm, und sie wollen nach Bayern. Irgendwie, auch illegal und unter größten Qualen.

Immer mehr versuchen es mit Hilfe von Schleusern. 2012 könnten so viele wie noch nie auf diese Art nach Bayern kommen , sagt die Bundespolizei. In der AZ erklären Ermittler das knallharte Geschäft mit der Ware Mensch. Die Geschleusten sind häufig junge Männer. Ihre Familie schickt sie in den Westen, als Investition in die Zukunft. „Sie legt zusammen, verschuldet sich, verkauft Vieh, Haus und Hof“, sagt Martin Kuhlmann, Leitender Polizeidirektor der Münchner Bundespolizei. „Sie erwartet auch, dass er alles zurückzahlt.“ Wer es sich leisten kann, kauft die Reise gleich in seinem Dorf. „Andere schlagen sich zunächst auf eigene Faust durch“, sagt Kuhlmann. 2011 wurden 1781 Menschen nach Bayern geschleust – ein Viertel stammte aus Afghanistan, es folgten Iraker, Syrer, Türken, Iraner, Kosovaren, Russen, Algerier, Serben und Ukrainer. Diesen Wert „werden wir dieses Jahr mit höchster Wahrscheinlichkeit übertreffen“, sagt Bundespolizei-Sprecher Klaus Papenfuß.

Von Januar bis Mai flogen bereits 800 Geschleuste auf, jeder Dritte war ein Afghane. Geht das so weiter, kommen heuer so viele wie nie zuvor. In Bayern helfen Bekannte und Verwandte mit Jobs auf dem illegalen Arbeitsmarkt – meist auf dem Bau oder in Haushalten. Wer den Schleusern Geld schuldet, muss sie abarbeiten – Frauen auch mal als Prostituierte. Der Weg nach Bayern geht meist über Österreich (s. Grafik). Sie ist die am stärksten betroffene Landgrenze. Wer von der Türkei und Griechenland kommt, versucht es über Salzburg oder Passau. Wer von Griechenland über Italien weiterreist, über Kufstein. Das Problem ist Griechenland – das Einfallstor in die EU: Die türkisch-griechische Grenze ist lang, das Flüsschen Mariza schmal. 2010 schlichen sich hier 128000 Migranten nach Griechenland ein.

„Wer da ankommt, hat den Schengen-Raum erreicht“, sagt Kuhlmann. Ab da gibt es keine Grenzkontrollen mehr. In den Städten haben die Schleuser nur auf die neuen Kunden gewartet. Sie sprechen sie auf der Straße an und organisieren die Weiterreise nach Bayern. Immer mehr versuchen es mit dem Flugzeug. 2011 kamen 546 von 699 Geschleusten aus Griechenland über die Flughäfen – in den allermeisten Fällen starteten sie in Athen oder Thessaloniki. Bis Mai deckte die Bundespolizei am Flughafen München 226 Schleusungen auf – über zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Wer so reist, ist nicht immer arm. „Es gibt durchaus reiche Familien, die ihre Kinder nach Deutschland schicken, weil sie in Afghanistan oder im Irak für sie keine Zukunft sehen“,sagt Kuhlmann. Auch sie nehmen oft die Hilfe von Schleusern in Anspruch. In seltenen Fällen kommen sie sogar im Privatjet. In München versuchen sie, mit geliehenen oder gefälschten Papieren einzureisen. Andere lassen sich einfach erwischen.

Gerade Afghaner oder Iraker rechnen damit, „dass man sie wegen der dortigen Verhältnisse schon nicht in ihren Heimatstaat abschiebt“, sagt Kuhlmann. Nach Griechenland müssen Geschleuste auch nicht zurück. Das Land erfüllt die EU-Standards für Asylverfahren nicht. Die Methoden sind menschenverachtend. Kein Platz für Würde. Die Schleuser pferchen Flüchtlinge in Kühl-Lkws, unter Bussitze, in Kisten, Container oder Anhänger ohne Belüftung. Tagelang fahren sie ohne Essen, Toiletten und Pausen. „Es gab Fälle, in denen Kinder mit starken Schlafmitteln ruhig gestellt wurden“, sagt Kuhlmann. „Das ist ein gnadenloser Umgang.“ Je mehr geschleust würden, desto besser. Jeder bringt tausende Euro.

„Viele sind schon erstickt“, den Schleusern sei das aber egal: „Geschleuste sind nur eine Ware“. In abgehörten Telefonaten bezeichnen Schleuser Flüchtlinge als „Stück“, „Kartoffeln“, „Paketen“ oder „Traktoren“. Immer öfter nutzen Schleuser Mitfahrzentralen. Wer da völlig arglos zwei Afghanen von Wien nach München fährt und dafür eine kleine Gebühr einstreicht, wirkt ungewollt bei einer Schleusung mit und macht sich im schlimmsten Fall strafbar. Die Kosten sind je nach Fall unterschiedlich. Wer wenig hat, muss auf Komfort verzichten. Das heißt nicht, dass er billig davon kommt. Eine Reise im Lkw kostet ab Griechenland oder Süditalien etwa 3000 Euro, im Auto rund 4000 Euro, im Flieger etwa 10000 Euro. Wer eine „Garantie-Schleusung“ bucht, zahlt 10000 bis 25000 Euro. Dafür erhält er beliebig viele Versuche – bis er angekommen ist. Die Schleuser sind fast immer Ausländer oder Deutsche mit Migrationshintergrund. Gefasst werden meist die Fahrer – oft Türken, Serben, Rumänen und Afghanen.

„Manchmal sind das einfach nur Junkies mit Führerschein“, sagt Experte Martin Kuhlmann. Sie gehen das höchste Risiko ein. Wer erwischt wird, landet oft für Jahre ins Gefängnis. Das große Geld machen die Hintermänner. Kuhlmann spricht von „Gewinnen wie im Drogenhandel“. Bei Schleusungen nach Bayern sind das vor allem Iraker. 2011 wurden 402 Schleuser gefasst, die Menschen nach Bayern gebracht hatten. Die Köpfe der Banden sitzen in Griechenland oder Italien. Sie leiten professionelle Organisationen mit eigenen Fälscherwerkstätten für Visa und Pässen. Sei haben Millionen zur Verfügung – und bestechen mit einem Teil dieses Geldes sogar Schlüsselpersonal an Häfen und Flughäfen.

Im Juni flogen zwei Mitarbeiter des Athener Flughafens auf. Monatelang führten sie Ausländer an Polizeikontrollen vorbei. Pro Person zahlten die Schleuser ihnen 500 Euro. Auch in Bayern haben die Banden ihre Leute: Die nehmen Geschleuste auf. Oder organisieren echte EU-Pässe von hier wohnenden Ausländern. Die geben sie an ähnlich aussehende Flüchtlinge weiter. „Gerade bei Schwarzafrikanern wird das gern versucht“, sagt Kuhlmann. So international die Banden agieren – jeder bleibt unter sich. Iraker arbeiten mit Irakern, Türken mit Türken, Afghanen mit Afghanen. Sie alle eint nur eins: Ein Millionen-Geschäft, das mit jeder Krise lukrativer wird.

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