Schiefer Turm und Segen
NÜRNBERG -Nürnbergs Fotoszene beweist in „neuland“ im Museum Industriekultur Vielseitigkeit — und zerfleischt sich in überflüssigen Revierkämpfen.
Gemeinsame Sache sieht anders aus: Weil die Einladungskarten zur Gruppenschau „neuland“, die gestern Abend im Museum Industriekultur eröffnet wurde, ihrer Meinung nach zu spät verschickt wurden, attackierten Teile der Fotoszene Nürnberg öffentlich die vermeintlich Schuldigen der Initiative und brüllten Entschuldigungsforderungen. Die Prügelknaben Gerd Dollhopf und Herbert Liedel, Motoren der Szene-Plattform, verweisen darauf, dass man „relativ wenig Einfluss gehabt“ habe (weil die Werbung übers Museum lief und es da „Verzögerungen“ gab). „Peinlich“ sei dieser Disput, der womöglich Konsequenzen hat. Herbert Liedel hat offenbar genug von den vereinsmeiernden Revierkämpfen: „Ich überlege mir, ob ich aus der Fotoszene austrete.“
Der Untertitel zur jetzigen Ausstellung – „Nürnbergs Wandel durch Migration“ – passt also auch ganz gut zur ungewollten Wanderbewegung. Und lässt Gutmenschelndes befürchten. Doch beim Gang durch die Bilderflut wird deutlich, wie verschieden diese 12 Foto-Köpfe ticken — zum Glück. Bernd Telle macht den Wallraff, hat sich für fünf große Porträts zum Rastalocken-Farbigen, Lederjacken-Russen und Latinlover umstylen lassen. Petra Simon fotografierte „Paradiesresidenzen“, Asylantenheime der Region, deren Fenster verheißend leuchten, deren sterile Architektur aber von enttäuschten Hoffnungen erzählt. Auf Details konzentrieren sich Angelika Salomon und Raffael Ziegler: Sie stellt sechs Nahaufnahmen von verschiedenfarbigen Haarbüscheln nebeneinander, er kombiniert fränkische mit internationalen Spezialitäten: Riesengarnelen ersetzen die „Sechs“ beim Kraut, Presssack den Fisch beim Sushi.
Dollhopf tauscht Kaiser Wilhelm vor St. Egidien gegen Lenin aus Charkov aus und den Business-Tower gegen den Turm von Pisa. Anarchisch fröhlich entlässt René Carstanjen den Besucher mit frech kommentierten Bildern seiner deutsch-ukrainischen Familie — keine Kunst, sondern Absage an Betroffenheitsmienen.
Die findet man eher bei der gespaltenen Fotoszene. Kränkungen und Verletzungen gehören zur Geschichte der Gruppe, die durch imponierende Leistungsschauen an ungewöhnlichen Orten (Hochbunker, MAN-Fabrikhalle, Kongresshalle) auffiel. Günter Derleth trat aus Protest aus. Lajos Keresztes und Kulturpreisträger Horst Schäfer sind nicht mehr dabei. Und nun womöglich Liedel. daer/GK
Museum Industriekultur (Äußere Sulzbacher Str. 60-62): bis 27. Dezember, Di-Fr 9-17 Uhr, Sa/So 10-18 Uhr
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