Russische Seele gesucht

Abschied von Nürnberg: Oberspielleiterin Helen Malkowsky verspricht bei der letzten Premiere einen gefühlvollen „Eugen Onegin“ – und gesteht Zweifel an der Zukunft der Kunstgattung Oper
von  Abendzeitung
Seit 2004 war Helen Malkowsky Oberspielleiterin in Nürnberg; mit dem Intendantenwechsel endet ihr Vertrag.
Seit 2004 war Helen Malkowsky Oberspielleiterin in Nürnberg; mit dem Intendantenwechsel endet ihr Vertrag. © Berny Meyer

Nürnberg - Abschied von Nürnberg: Oberspielleiterin Helen Malkowsky verspricht bei der letzten Premiere einen gefühlvollen „Eugen Onegin“ – und gesteht Zweifel an der Zukunft der Kunstgattung Oper

Sie hatte nach Andrea Raabe als zweite Frau der Nürnberger Intendanten-Ära von Wulf Konold den „Ausputzer“-Posten der Oberspielleiterin des Musiktheaters. Helen Malkowsky führte Regie bei zwei Lehár-Operetten, reparierte den Betriebsunfall mit der „Großherzogin von Gerolstein“, stieg über den „Fliegenden Holländer“ zum „Rosenkavalier“ auf und fand überzeugende Bilder für Aribert Reimanns „Melusine“. Am Samstag verbeugt sie sich letztmals – da hat Peter Tschaikowskys gefühlvolles Drama „Eugen Onegin“ Premiere. Mit Jochen Kupfer (Song-Hu Liu übernimmt im Juli), Anne Lünenbürger, Tara Venditti und Carsten Süß in den Hauptrollen. Guido Johannes Rumstadt dirigiert.

AZ: Frau Malkowsky, beim ersten AZ-Interview 2004 hatten Sie unbefangen ein Loblied auf Operetten gesungen. Haben vier Jahre Nürnberger Erfahrung an dieser Haltung etwas geändert?

HELEN MALKOWSKY: Ich habe mich jedenfalls nicht so daran aufgerieben, dass ich „Nie wieder!“ sagen würde. Aber es gibt Operetten, von denen ich inzwischen die Finger lasse. Alle, mit denen man nichts erzählen kann.

Hatten Sie sich Ihre Nürnberger Entwicklungssprünge so vorgestellt?

Naja, ich bin sicher nicht mit der Absicht gekommen, hier die Operetten zu reparieren. Was mich sehr Freude hat, war das wachsende Vertrauen, das mir Aufträge für die anderen Stücke brachte.

Ändert sich mit der angesammelten Erfahrung etwas an Ihrer Einstellung zur Oper?

Es ist wie bei anderen Kunst-Sparten auch, man muss gelegentlich zurück auf Null, um der Routine zu entfliehen. Und man muss sich zusammen mit Sängern und Musikern auf die Suche begeben. Wir brauchen dringend immer wieder das Gefühl, es ist etwas Neues entstanden.

Sind Sie denn sicher, dass es das große Publikum dafür noch längere Zeit geben wird?

Schwere Frage, es gibt Momente von Euphorie, wo ich meine, unsere Unmittelbarkeit und Wahrheit könnte für immer gültig sein. Aber es gibt dagegen auch reflektive Zeiten, die diese ganze Merkwürdigkeit eines Parallel-Universums deutlich machen.

Also Hoffnung und Zweifel, doch wie geht es weiter mit der Oper in dieser Zwickmühle?

Wenn ich das wüsste! Ich glaube, wir müssen irgendwie raus aus dieser abgeschlossenen Welt, Theater muss viel selbstverständlicher werden, ganz ohne Heiligenschein, so als ob man zum Essen geht.

Und was für eine Rolle spielt es, welche Stücke auf dem Programm stehen?

Ich denke, die Phase der Ausgrabungen wird bald vorbei sein, wenn die Opern-Archäologen nur noch auf Granit stoßen. Dann stellt sich die Frage nach dem Kanon der Stücke wieder ganz neu. Ich würde gern in hundert Jahren gucken, was noch gespielt wird.

Vielleicht wird da grade Mozart wieder neu entdeckt?

Kann gut sein! Aber was wird aus Henze und Reimann? Ein Stück wie „Melusine“ hier war ja jetzt schon die Auseinandersetzung mit einer Musikform, die wir nicht alle Tage erleben.

Was kommt noch neu dazu?

Kultur muss auf jeden Fall etwas riskieren, sonst wird nichts mehr wachsen. Aber was es sein wird - ich weiß es wirklich nicht.

Sie verabschieden sich mit „Eugen Onegin“, und da fällt mir sofort das Urteil eines früheren Nürnberger Opernhaus-Chefs ein. Von Kloke stammt der markante Spruch „Tschaikowsky ist Hollywood“. Stimmt das?

Es ist ja erstaunlich, dass jeder musische Mensch bei Tschaikowsky ganz schnell eine eigene Kategorie zur Hand hat, jeder reagiert positiv oder negativ mit Schlagwort. Ich kann mit dem Stempel „Hollywood“ leben, denn von dort kommen auch gute Sachen.

Was hielten Sie von der Parole „Tschechow statt Hollywood“?

Nicht schlecht, denn tatsächlich hat Tschaikowsky die zynische Distanz des Puschkin-Textes geändert zugunsten einer sachlichen Gefühlstiefe, die sich melancholisch ausbreitet.

Dafür haben wir das nächste Schlagwort parat: Russische Seele. Was bedeutet das?

Tja, wenn man das wüsste. Alle reden drüber, aber keiner kann es erklären – die Russen selber übrigens auch nicht. Vielleicht steckt das im Unterschied zwischen dem deutschen Sturm und Drang, wo man ja etwas erreichen wollte, und dem bis heute geltenden russischen „Es ändert sich nichts“-Gefühl. Wir stellen Ansprüche an das Schicksal, die Russen nehmen es an.

Beschreiben Sie den liebesunfähigen Eugen Onegin als historische Figur?

Rückwärts gewandt? Nein! Wir sehen vier junge Leute am Start ihres Lebens mit der Möglichkeit, ihr Glück zu finden. Das ist sehr modern, wie sie als Freunde fern der Gesellschaft miteinander präsent sind, aber auch, wie Onegin dann an der eigenen Unfähigkeit, sich zu öffnen, scheitert.

Keine Kolportage-Story?

Nein, es ist mehr, es ist das große Missverständnis der Gefühle. Tatjana sieht Onegin als Chance der Selbstverwirklichung, Onegin versteht nur, dass er sie heiraten soll. Dabei hat sie doch bloß ein diffuses Bild von Erfüllung, und der berühmte Brief erhebt Ansprüche, die kein Mann dieser Welt erfüllen kann.

Die Musik legt sich wie Sirup über die Szenen...

Sie ist aus dem Herzen geschrieben und wagt das ganz große Gefühl. Darauf werden wir uns einlassen, und die Genauigkeit im Detail, mit der Dirigent Guido Johannes Rumstadt arbeitet, bannt die Gefahren der Trivialität.

Sind Ihre Figuren nun bei Puschkin oder bei Putin?

Meine Erzählweise ist nicht Trash, sondern Kühlheit und Klarheit – aber eben Gegenwart mit einem Hauch Tschechow-Vergangenheit.

Die Aufführung verschwindet nach sechs Vorstellungen?

Das ist wohl so, aber fragen Sie mich nicht, warum!.

Interview: Dieter Stoll

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