Rüstungsboom auch in Bayern – wie sehr die Branche von der Zeitenwende profitiert

Bayerns Rüstungsindustrie boomt – es entstehen viele neue Jobs. Nicht genutzte Produktionslinien im Automobil- und Zulieferbereich sehen die Waffenkonzerne als "große Chancen".
Tobias Lill |
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Die Getriebe-Produktion beim Hersteller Renk in Augsburg für einen Panzer.
Die Getriebe-Produktion beim Hersteller Renk in Augsburg für einen Panzer. © Stefan Puchner/dpa

München – Es ist noch gar nicht lange her, da rümpften manche die Nase, wenn es um die deutsche Rüstungsindustrie ging. Die Grünen demonstrierten an Ostern brav für den Frieden und ein adliger CSU-Verteidigungsminister schaffte kurzerhand die Wehrpflicht ab.

Doch seit Russland die Ukraine angriff, ist vieles anders. Die Ampel-Regierung stockte den Verteidigungshaushalt 2022 mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro auf. Manche Fonds, die im Sinne der Nachhaltigkeit Rüstungsaktien aus ihren Portfolios nahmen, dürften ihre Entscheidung nun bereuen. Seit Beginn des Ukraine-Krieges hat sich der Kurs des größten deutschen Rüstungsbauers Rheinmetall verdreizehnfacht.

Rheinmetall erlebt den größten Boom seiner Geschichte

Neben dem deutschen Verteidigungsministerium ordern auch die Ukraine und westliche Verbündete eifrig Verteidigungssysteme made in Germany. Die Düsseldorfer erleben den größten Boom ihrer Geschichte. Dem Konzern liegen derzeit Anfragen und Bestellungen für Panzer und andere Waffensysteme im Wert von 55 Milliarden Euro vor. Das sind 17 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr – ein neuer Rekord.

Die meisten Waffenproduzenten haben volle Auftragsbücher. "Wir befinden uns seit Langem auf einem Wachstumspfad", sagt David Voskuhl, Vice President von Diehl Defence, der AZ. Die Diehl-Konzernmutter hat ihren Sitz in Nürnberg, die Verteidigungssparte in Überlingen am Bodensee. Seit Längerem stellt das Unternehmen auch an mehreren bayerischen Standorten fleißig ein. Zuletzt zählte der Konzern etwa 4500 Mitarbeiter, erwirtschaftete über 1,8 Milliarden Euro an Jahresumsatz.

Ein Renner:  IRIS-T SLM

Besonders gut verkauft sich das Flugabwehrraketen-System IRIS-T SLM, das auch von der Ukraine eingesetzt wird. Zusammengebaut wird die Wunderwaffe im mittelfränkischen Röthenbach an der Pegnitz. Dort soll zudem ein großer Neubau entstehen, in dem Diehl Batterien baut, die in Flugkörpern oder in Munition verwendet werden.

Fahrzeuge des neuen Luftverteidigungssystems IRIS-T SLM der Firma Diehl Defence stehen vor der Indienststellung auf dem Gelände der Kaserne Todendorf.
Fahrzeuge des neuen Luftverteidigungssystems IRIS-T SLM der Firma Diehl Defence stehen vor der Indienststellung auf dem Gelände der Kaserne Todendorf. © Christian Charisius/dpa

Auch bei KNDS stehen die Zeichen auf Expansion. Der bayerische Teil des deutsch-französischen Waffenbauers war früher als Krauss-Maffei Wegmann bekannt. Das Münchner Unternehmen zählte zuletzt knapp 10.000 Beschäftigte. Der Auftragsbestand von KNDS lag Ende 2023 bei 15,7 Milliarden Euro. Der Umsatz wuchs im Geschäftsjahr 2023 auf 3,3 Milliarden Euro.

"Wir brauchen wohl eher eine Million Drohnen als 2000 neue Panzer"

Die Geschäfte mit gepanzerten Fahrzeugen wie dem Leopard 2 oder dem Boxer laufen – ebenso die mit Munition und Haubitzen sowie Drohnen. KI-gesteuerte Drohnen sind längst kriegsentscheidend, wie sich in der Ukraine zeigt. "Wir brauchen wohl eher eine Million Drohnen als 2000 neue Panzer", glaubt der Ökonom Moritz Schularick. Klar ist: KI-Waffentechnik und Drohnen sind nicht länger Domänen der Amerikaner und Israelis. Das Münchner Rüstungs-Start-up Helsing liefert Kampfdrohnen an die Ukraine, und auch etliche andere Firmen im Freistaat verstehen sich auf dieses Metier.

Moritz Schularick, Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW), glaubt, es würden viel mehr Drohnen als Panzer benötigz.
Moritz Schularick, Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW), glaubt, es würden viel mehr Drohnen als Panzer benötigz. © Frank Molter/dp

Genaue Zahlen, wie viele Menschen in der Rüstungsbranche arbeiten, gibt es nicht. 2022 sollen es einer Schätzung der Bundeswehr-Uni zufolge allein in Bayern bis zu 45.000 gewesen sein. Seither sind laut Branchenkennern mehrere Tausend weitere Jobs hinzugekommen. Gemäß einer aktuellen Studie von EY und der Deka-Bank entfaltet jeder Euro, den die europäischen Nato-Staaten in Verteidigung investieren, eine doppelt so hohe wirtschaftliche Aktivität – etwa, weil die Beschäftigten mit ihrem Verdienst ein neues Auto kaufen. Allein die bislang von den Nato-Staaten geplanten Rüstungsausgaben sichern der Studie zufolge in Deutschland mehr als 137.000 Arbeitsplätze.

 

Markus Söder an einem Ausstellungsstück eines Taurus KEPD 350 Marschflugkörpers beim Rüstungsunternehmen MBDA.
Markus Söder an einem Ausstellungsstück eines Taurus KEPD 350 Marschflugkörpers beim Rüstungsunternehmen MBDA. © dpa

"Wir brauchen besonders Drohnen und ballistische Raketensysteme"

Rheinmetall rechnet mit einem Anhalten des Booms. "Die USA, und das ohne Vorwürfe, wird Europa zwingen, mehr zu investieren in die Sicherheit", so Konzernchef Armin Papperger. Im politischen Berlin gibt es kaum noch jemanden, der sich noch auf die unberechenbaren Amerikaner verlassen will. Aufgrund der teilweisen Aussetzung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben werden wohl weitere Hunderte Milliarden Euro an die Bundeswehr fließen. Der frühere CSU-Verteidigungsexperte Johannes Hintersberger fordert, dass mit dem Geld möglichst europäische Waffensysteme gekauft werden. "Wir brauchen besonders Drohnen und ballistische Raketensysteme", sagt er.

Armin Papperger, Vorstandvorsitzender der Rheinmetall AG, ist der Ansicht, dass die USA Europa zu mehr Investitionen in die Sicherheit zwingen werden.
Armin Papperger, Vorstandvorsitzender der Rheinmetall AG, ist der Ansicht, dass die USA Europa zu mehr Investitionen in die Sicherheit zwingen werden. © Rolf Vennenbernd/dpa

Doch kann die deutsche Rüstungsindustrie überhaupt so viele Verteidigungssysteme in kurzer Zeit produzieren? Ja, heißt es beim Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Man benötige allerdings klare Ansagen, von welchen Produkten man wann wie viele erwartet. Dann "wird sie auch liefern", sagt ein Verbandssprecher.

Kein Ersatz für Stellen in der Autoindustrie

Derzeit biete das Freiwerden von Ressourcen im Automobil- und Zulieferbereich "große Chancen, Rüstungskapazitäten schnell hochzufahren". Ganz nach dem Motto: Panzer statt Autos. Gewerkschafter warnen allerdings davor, das Beschäftigungspotenzial der Rüstungsindustrie zu überschätzen. Die geplante Steigerung der Verteidigungsausgaben werde zwar sicherlich zu einem Beschäftigungsaufbau im Rüstungsbereich führen. Dieser werde aber keinesfalls den drohenden Stellenabbau in der Autoindustrie, bei den Zulieferern und in anderen Kernbranchen der Metall- und Elektroindustrie ausgleichen können, glaubt Horst Ott.

Will nicht, dass nur auf die Rüstungsindustrie gesetzt wird: Bayerns IG-Metall-Chef Horst Ott.
Will nicht, dass nur auf die Rüstungsindustrie gesetzt wird: Bayerns IG-Metall-Chef Horst Ott. © Georg Wendt/dpa

Bayerns IG-Metall-Chef sagt der AZ: "Es wäre fatal, jetzt allein auf die Rüstungsindustrie zu setzen und andere Branchen zu vernachlässigen." Für die IG Metall ist die Produktion von Wagen letztlich dann doch besser als die von Waffen.

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4 Kommentare
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  • Ali Kante am 24.03.2025 19:16 Uhr / Bewertung:

    Wenn jetzt auf einmal von den Politikern und deren angeschlossenen Medien Kriegs-Hysterie verbreitet wird, ist das also "Zeitenwende". Erst Corona, dann Klima und jetzt Krieg. Hauptsache Angst und Panik verbreiten, um die dumme Bevölkerung gefügig zu machen. Falls "der Russe" schon vor Berlin stehen sollte: Kann er von mir aus gerne haben...

  • Da Ding am 25.03.2025 08:49 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Ali Kante

    Der wirklich dummen Bevölkerung wird vor Demokratie, Migration und der EU Angst gemacht.

  • Tonio am 24.03.2025 18:49 Uhr / Bewertung:

    Europa versucht, seine tiefgreifenden wirtschaftlichen Probleme zu vertuschen, indem es durch den Bau von Rüstungsgütern Geld in seine Volkswirtschaft pumpt. Ob das gut gehen wird?

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