Routiniert im Reihenhaus
Die routiniert spielenden „Ich und Ich“ aus Berlin lockten rund 5000 Fans in die Nürnberger Arena
Ich und Ich muss man offenbar aussitzen – die bestuhlten Ränge in der Nürnberger Arena sind ausverkauft und das Stehparkett nur zu einem Drittel gefüllt. Konsequent: Tanzen wollen die anwesenden 5000 im Midtempo-Sumpf nicht unbedingt. Und zum Kuscheln und mittelbeteiligten Lauschen eignet sich ein Sitz eben mehr. Das Konzert des einen „Ich“, Adel Tawil (das andere „Ich“, Annette Humpe, meidet aus Prinzip die Bühne), ist der modern aufgepeppte Gottesdienst mit Live-Band, ist das familien- und umweltfreundliche Auto zum Reihenhaus. Ich und Ich sind musikalische Mittelschicht. Nicht zu schnell, nicht zu laut, zu aufgedreht oder zu traurig – ein mögliches Erfolgsrezept. Der Mensch mag, was er kennt. Die balladeske Form der Songs hat einen popmusikalischen Methusalem-Bart.
Der Auftritt, von der siebenköpfigen Begleitband routiniert absolviert, kann aber in den weit über 90 Minuten nicht durchgängig begeistern. Lichtblicken wie „Pflaster“ oder „So soll es bleiben“ folgen lange Momente der lamentierenden Nabelschau, bei der Tawil mit seiner glockenhellen Stimme gefühlte tausendmal um Hilfe fleht. Ein Ausbruch aus dem tiefen Tal des Jammerns ist der Auftritt des ägyptischen Pop-Stars Mohamed Mounir, mit dem Tawil das Duett „Yasmine“ vom aktuellen Album „Gute Reise“ singt. Und dann, nach ein paar Unplugged-Nummern in der Mitte der Halle ist man baff berührt. Tawil begleitet sich selbst auf der Bühne am E-Piano und singt „Halt Dich an Deiner Liebe fest“ von Rio Reiser. Plötzlich, befreit vom triefigen Pomp, erreicht er eine atemberaubende Intensität. Endlich. Dafür gibt es berechtigten Applaus. mm
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