Reichswald: Mit Laubbäumen gegen die große Hitzewelle

Die grüne Lunge der Region muss umgebaut werden: Die Monokultur aus Kiefern und Fichten würde dem Klimawandel nicht trotzen können – erste Exoten werden heimisch
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
80 Prozent der Bäume im „Steckerlas-Wald“ rund um Nürnberg sind wie hier im Foto Kiefern.
az 80 Prozent der Bäume im „Steckerlas-Wald“ rund um Nürnberg sind wie hier im Foto Kiefern.

NÜRNBERG - Die grüne Lunge der Region muss umgebaut werden: Die Monokultur aus Kiefern und Fichten würde dem Klimawandel nicht trotzen können – erste Exoten werden heimisch

Nürnberg, Fürth, Erlangen und Schwabach verbindet eins: der Reichswald. Er ist 24200 Hektar groß, „und elementar wichtig für die Metropolregion“, sagt Forstwirt Roland Blank. „Er umschließt die Städte, ist ein großer, klimatischer Ausgleichsbereich. Dazu ist er unser größter Grundwasserspeicher.“ Gerade in der Zeit, in der immer mehr Brunnen im landwirtschaftlichen Bereich durch Pestizide belastet sind, ist das extrem wichtig. „Wir setzen keine Pestizide ein, dadurch haben wir das sauberste Grundwasser.“

Der Reichswald sorgt dafür, dass unser Kleinklima über der Region stabil bleibt: Auch wegen ihm regnet es; er dämpft die Extreme, in heißen Sommernächten sorgt er für Abkühlung durch die Verdunstung auf den Nadeln und Blättern – viel besser, als es eine Abkühlung der Steinmauern in der Stadt könnte. Der Reichswald ist Sauerstoffproduzent, er bietet Schutz vor den Emissionen aus Gewerbe- und Industriegebieten wie auch von der Autobahn. Er dämmt den Lärm von Industrie und Straße – er hat eine gigantische Rolle zu erfüllen. Nicht zuletzt die als Erholungsgebiet. „Wenn wir diese Funktionen verlieren würden, hätten wir eine arme Region.“

Der Wald spielt auch heute noch eine wichtige Rolle als Rohstoffproduzent. „Wir produzieren 135000 Kubikmeter Holz pro Jahr, die Holzindustrie beschäftigt, auch wenn man es kaum glauben mag, mehr Menschen in Deutschland als die Autoindustrie.“ Durch den Reichtum vor der Haustür müsste niemand auf Tropenholz zurückgreifen, dessen Abholzung einer der großen Klima-Killer ist. Der Reichswald hat eine elementare Rolle im Naturschutz. Von den 24200 Hektar gelten 22500, also etwa 93 Prozent, als SPA, Special Protected Area, sie sind ausgewiesenes Vogelschutzgebiet für den Specht, Habicht, Sperber, Bussard, hier die Heidelerche, fliegt der seltene Ziegenmelker.

„Mit jeder Art, die man verliert, verliert das ganze System an Stabilität“, sagt Blank. Was deutlich wird am Baumbestand im Reichswald. „Je näher ich an der Monokultur bin, desto instabiler wird das System.“ Dafür scheint der Reichswald ein negatives Parade-Beispiel zu sein: 80 Prozent der Bäume im „Steckerlas-Wald“ sind Kiefern, unter den verbliebenen 20 Prozent wachsen viele Fichten. Die fällt immer mehr dem Borkenkäfer zum Opfer. „Das hängt mit dem Klimawandel zusammen“, so Blank. Denn durch Trockenperioden hat die Fichte kaum noch Kraft, sich mit Harz gegen die Larven des Fresslings zu wehren – sie stirbt.

„Wir arbeiten schon länger an diesem Problem. Wir mussten die Frage beantworten: Wenn die Temperaturen ansteigen – wie können wir im Waldbau reagieren?“ Die Strategie: Ein stabiler Wald ist ein Mischwald, das heißt, es müssen Bäume darunter sein, die Wärmeanstiege aushalten. „Eiche oder Buche können das besser“, weshalb nun auf den bewirtschafteten 24000 Hektar auf 9000 Hektar junge Eichen und Buchen wachsen. In ganz Franken gibt es diese Mischwälder, nur eben nicht im Reichswald. Doch Blank prügelt nicht auf die Altvorderen ein. „Der Reichswald war immer Grundlage für den Reichtum der Stadt Nürnberg. Das Holz war Bauholz und Heizmaterial, es gab kein Gas, kein Öl, es war die einzige Energiequelle. Die Industrie des Mittelalters brauchte Holz und Kohle, um Eisen zu verhütten – so hat man den Wald extrem genutzt.“

Es wurde mehr geschlagen, als nachwachsen konnte. Um die Lücken zu stopfen, musste schnell wachsendes Holz her – die Kiefer. Mit der Monokultur kamen die Schädlinge, in dem Fall der Kiefernspanner, der den Wald kahl fraß. Etwas anderes als die Kiefer wuchs in diesem Wald auch nicht mehr: In Ermangelung an Stroh rechten die Bauern die Nadeln im Wald zusammen und nutzten sie auf den Höfen. Folge im Wald: Es konnte sich kein Humus bilden. Ein letztes Mal kam es 1895 zur Katastrophe. Der Kiefernspanner fraß den Wald kahl. Es entstanden gewaltige Freiflächen, die wieder mit Kiefern gefüllt wurden. „Etwa vor 30 bis 40 Jahren hat man umgedacht und den Wald mit Laubholz angereichert.“

Dass die Fichte angesichts des Klimawandels komplett aus dem Reichswald verschwinden wird, glaubt Blank nicht. „Aber auf einigen Flächen wird sie in 30 Jahren nicht mehr wachsen.“ Den Reichswald 2030 sieht er so: „Es wird kaum Freiflächen geben, wir werden den Wald mit Laubholz unterbauen. Dort werden verschiedene Baumarten stehen, die wir je nach Standort auswählen. Egal wie warm es wird, wir werden Arten haben, die es aushalten.“ Vielleicht werden sich mehr Exoten einschmuggeln, wie es jetzt die Spätblühende Traubenkirsche getan hat: Der Baum kommt vom Balkan. Im Reichswald fühlt er sich schon pudelwohl. Und beginnt, heimische Pflanzen zu verdrängen. Blank: „Er treibt überall aus.“ S. Will

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.