Radio Freies Europa: 75 Jahre – und nun Schluss?

Die US-Regierung dreht den Geldhahn zu. Dabei bietet Radio Freies Europa/Radio Liberty prowestlichen Kräften seit Jahrzehnten eine Plattform – erst aus München, dann aus Prag. Springt nun Europa ein?
von  Michael Heitmann, dpa
Journalisten arbeiten im Newsroom des US-Auslandssenders Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) in Prag. (Archivbild)
Journalisten arbeiten im Newsroom des US-Auslandssenders Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) in Prag. (Archivbild) © Michael Heitmann/dpa

Mit "Barbara" fing alles an. So hieß der mobile Sender, mit dem Radio Freies Europa vor 75 Jahren sein erstes Testprogramm ausstrahlte. Verteilt auf sieben Lastwagen war im hessischen Lampertheim alles versammelt, was man brauchte, um die Hörer Hunderte Kilometer weit weg, hinter dem Eisernen Vorhang, zu erreichen. Am 4. Juli 1950 konnten Tschechen und Slowaken erstmals ein halbstündiges Programm empfangen, das eine Alternative zum staatlichen sozialistischen Rundfunk bieten wollte. Später folgten Testsendungen für Rumänen, Ungarn, Polen und Bulgaren.

Schmerzhafte Kürzungen

Der reguläre Sendebetrieb begann 1951 aus Studios am Englischen Garten in München, 1995 erfolgte der Umzug nach Prag. Heute verbreitet Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) Programme in 27 Sprachen, unter anderem für Hörer in Russland, der Ukraine, Ungarn und dem Iran. Doch 75 Jahre nach der ersten Testsendung kämpft der Sender um sein Überleben. Denn die Regierung von US-Präsident Donald Trump versucht alles, um den Geldhahn zuzudrehen. Und das, obwohl die Mittel vom US-Parlament genehmigt wurden.

Noch arbeiteten alle Fremdsprachendienste weiter, sagt Rowan Humphries, die Sprecherin des Senders. Doch habe man einige Festangestellte freistellen, Verträge mit freien Mitarbeitern auflösen und den Umfang des Programms reduzieren müssen. "Unsere Journalisten stehen mehr als jemals zuvor hinter dem Auftrag von RFE/RL, Millionen Menschen in geschlossenen Gesellschaften mit Nachrichten und Informationen zu versorgen", betont Humphries. 

Derzeit hangelt sich der Sender von Monat zu Monat, indem er mit einstweiligen Verfügungen die Freigabe der Gelder erzwingt. Doch Ende September endet das Fiskaljahr in den USA. Wie es danach weitergeht, ist ungewiss. Es lässt nichts Gutes erahnen, dass der in Washington einflussreiche Elon Musk vor wenigen Monaten über die US-Auslandssender schrieb: "Yes, shut them down."

Große Bedeutung im Wendejahr 1989

Viele Beobachter wundern sich darüber, dass die US-Regierung freiwillig auf ein solches Mittel der "Soft Power" verzichten will. "Soft Power" - das ist die Durchsetzung eigener Interessen allein durch Überzeugungs- und Anziehungskraft. Der Prager Publizist Petr Brod stieß 1987 zu Radio Freies Europa, kurz vor dem Zusammenbruch der sowjetischen Vorherrschaft in Ostmitteleuropa im Wendejahr 1989. "Wir hatten großen Einfluss - auch, weil wir die Petitionen der Opposition verbreiteten", sagt er rückblickend.

Man wollte eine vollwertige Alternative zu den Staatssendern des Ostblocks bieten. "Wir hatten Sendungen für alle möglichen Schichten der Bevölkerung", berichtet Brod - von landwirtschaftlichen Programmen für Traktoristen bis hin zu Musiksendungen für die Jugend. "Die Dissidenten telefonierten mit uns offen, auch Vaclav Havel", erinnert sich Brod. Die Vorgesetzten aus Washington hätten nicht bis ins Detail Vorgaben gemacht. Doch habe man sich an die großen Richtlinien der amerikanischen Außenpolitik halten müssen.

Wird die EU einspringen?

Mehr als 35 Jahre später bereitet man sich in Europa auf eine wachsende Bedrohung durch Russland vor. Angesichts dessen setzt sich die Regierung in Prag dafür ein, dass die EU einspringt, wenn sich die Amerikaner ganz bei RFE/RL zurückziehen. Einen Rettungsring von 5,5 Millionen Euro hat Brüssel schon zugeworfen. Schweden und die Niederlande spenden zusammen rund 4,8 Millionen Euro. Angesichts eines bisherigen Jahresbudgets von mehr als 120 Millionen Euro ist das freilich nur ein kleiner Baustein.

Brod, der bis 1993 bei Radio Freies Europa blieb und später unter anderem für die BBC arbeitete, ist skeptisch. Er sieht für eine komplette Übernahme der Kosten im Moment keine Mehrheit in Europa: Länder am Rande wie Portugal, Griechenland, Malta oder Spanien hätten kein Interesse daran, ein solches Unternehmen zu unterstützen. "Warum sollten sie nach Kasachstan senden? Oder nach Belarus?", gibt er zu Bedenken.

Bombenanschlag in München und Attentate

Ungefährlich war die Arbeit für die Journalisten von Radio Freies Europa und Radio Liberty nie. An die Getöteten erinnert heute ein kleines Mahnmal im Eingangsbereich des Prager Hauptgebäudes. Als der Sender noch seinen Sitz in München hatte, erschütterte 1981 ein Bombenanschlag das Funkhaus, drei Mitarbeiter wurden schwer verletzt. 

Es gab mehrere Attentate - einmal sollten sogar die Salzstreuer in der Kantine vergiftet werden. "Man wusste, dass man in einer gewissen Gefahr war", sagt Brod heute. "Man musste damit leben."

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