Puppenzimmer zum Anbeißen

Nürnberger Galeriestreifzug: von der Dürer-Gesellschaft zum Bernsteinzimmer
von  Abendzeitung
Wie eine Lebkuchenvariante wirkt Uwe Schloens dreidimensionale „Coverversion“ von Vincent van Goghs „Zimmer in Arles“.
Wie eine Lebkuchenvariante wirkt Uwe Schloens dreidimensionale „Coverversion“ von Vincent van Goghs „Zimmer in Arles“. © Berny Meyer

NÜRNBERG -Nürnberger Galeriestreifzug: von der Dürer-Gesellschaft zum Bernsteinzimmer

Sobald Temperaturen und Blätter fallen, präsentieren die Galerien der Stadt ihr Herbstprogramm — zeitgleich. Zum Beispiel die Akademiegalerie in der Adlerstraße, in der die Klasse Freie Kunst ein halbes Jahr sturmfreie Bude feiert: Professor Rolf-Gunter Dienst ging schon im Frühjahr, Heike Baranowsky übernimmt erst im Oktober die Führung. Für den Neuanfang wird „Tabula Rasa“, also reiner Tisch gemacht.

In der professorenfreien Zeit scheint Bele Albrecht besonders viel Spaß gehabt zu haben. „Unser Klo soll schöner werden“ wuchert es in der Galerietoilette aus entsprechendem Papier rosenblütig; davor hängen Elchkopftrophäen aus den übrig gebliebenen Papprollen; auf dem Treppengeländer tummeln sich „Selbstmörder“ aus Knete.

Nur aus horizontalen und einigen vertikalen Strichen in Schwarz und Rot hat Meng Yang eine traumwandelnde Mondlandschaft zwischen Caspar David Friedrich und japanischen Holzschnitten entworfen. Miho Kasamas aufgeschnittene Silikon-Kugelwesen auf der Suche nach ihrer ursprünglichen Form sind spannungsreich auf Glasfenstern angeordnet. Julia Frischmann zeigt ein richterndes „Flugobjekt“ vor verwaschenem Himmel, Marie Jeanne Turnea-Luncz „A girls best friend“ — bunte Kugelschreiberdiamanten. Für das Schaufenster hat sie Styropor-Verpackungen mit etwas Farbe in baubar wirkende Architekturmodelle verwandelt.

Viel Vergnügen scheint auch Uwe Schloen an seinen Silikonschöpfungen zu haben, mit denen er in der Galerie Bernsteinzimmer die Meister durchzitiert. Als Großobjekt hat es ihm van Goghs „Schlafzimmer in Arles“ angetan, das er dreidimensional nachbaute und mit Silikonstreifen verzierte, ein Puppenzimmer zum Anbeißen. Der Zuckerbäckerstil setzt sich auch am minnenden Paar, Schäferhund und Bären fort, Kuschelhaptik inklusive. Silikonfrei, aber mit verhaltenem Grusel hängt ein Totentanz frei nach Holbein an der Wand.

Beim Kroaten David Maljkovic muss man den Humor hingegen suchen — und findet ihn in der Albrecht-Dürer-Gesellschaft in einer Videoinstallation: Junge Zagreber sitzen träge in Autos, die statt Rädern eisblockartige Klötze besitzen. Ihre Münder öffnen sie nur für das Playback einer Englischlernkassette — „I’m fine“ hat selten verlogener geklungen. An der Wand gegenüber lehnen sich erstarrte Modells an die stillstehenden Wagen. Die Umgebung, das Expo-Gelände in Zagreb, hat Maljkovic mit Fotos und Messekatalogen zu 25 Collagen verarbeitet, ein trockenes Ausbalancieren von Kompositionselementen, das schnell ermüdet. Eine Prise Ironie hätte dieser Teil der Ausstellung gut vertragen. Georg Kasch

Akademie Galerie (Adlerstr. 10/12): bis 11.10., Do/Sa 12-19 Uhr; Galerie Bernsteinzimmer (Großweidenmühlstr. 11): bis 26. 10., Sa/So 15-19 Uhr; Kunstverein Albrecht Dürer Gesellschaft (Kressengartenstr. 2): bis 16.11., Mi-So 14-18 Uhr

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