Psychologe: "Christoph W., eiskalt und durchtrieben"

Was hat sich im Kopf von Christoph W. abgespielt? Warum hat Cornelia R. ihm geholfen? Ein Kriminalpsychologe über die Morde und die Rolle der Ex-Freundin.
von  Interview: Amina Linke
Christian Lüdke (50) ist Kriminalpsychologe, Traumaexperte und Autor des Buches "Wenn die Seele brennt", im AZ-Interview über die Bluttat von Notzing.
Christian Lüdke (50) ist Kriminalpsychologe, Traumaexperte und Autor des Buches "Wenn die Seele brennt", im AZ-Interview über die Bluttat von Notzing.

AZ: Herr Lüdke, Christoph W. galt früher als still, unauffällig und soll dann nach der Trennung seiner Eltern jähzornig, gewalttätig geworden sein. Wie wurde er zum Doppelmörder?

CHRISTIAN LÜDKE: Zum Doppelmörder wird man, wenn man die erlebte innere Ohnmacht durch die Gewaltausübung in ein kurzzeitiges Erleben von Allmacht verwandelt. Christoph W. fühlte sich im Stich gelassen, sah sich als Versager, erlebte immer wieder gestörte Beziehungen, Brüche. Aus Angst wird Wut, die durch Cornelias Eltern noch angestachelt wurde: Möglicherweise hat er in ihnen ein Ideal gesehen, mitbekommen, wie sie ihre Tochter vor ihm beschützen wollten. Als Cornelia dann auch noch Schluss machte, brachte das das Fass zum Überlaufen.

Hat er die Tat geplant?

Genauestens. Das ist nicht im Affekt geschehen – er hat zuerst Franz R. erstochen, dann zwei Stunden lang auf die Mutter gewartet. Dahinter steckt eine eiskalte, durchtriebene Planung.

Warum dann dieser Dilettantismus beim Beseitigen der Leichen?

Der Täter plant die Tat oft nur bis zum eigentlichen Mord. Er weiß nicht, was passiert, wenn er seinem Opfer letztendlich gegenüber steht – wehrt es sich, schreit es. Er hat nur eine Vorstellung von dem, was danach passieren muss: die Leichen zu beseitigen. Das sieht in der Realität allerdings ganz anders aus als in der Fantasie. Zumal er ja auch aus einer emotionalen Eingebundenheit agiert, vollgepumpt mit Adrenalin ist.

Ist der Adrenalin-Schock auch der Grund, warum Cornelia R. ihrem Ex-Freund geholfen hat?

Nach dem, was man bis jetzt weiß: ja. Sie hatte extreme Angst – Panik, die nächste zu sein. Die konkrete Bedrohung löst einen Schockzustand aus. Der emotionale Stress nimmt überhand, bewirkt die Ausschüttung von Stresshormonen und körpereigenen Opiaten. Fühlen und Handeln werden voneinander entkoppelt, man hat einzig einen Überlebenswillen. Dieser Zustand vergeht nicht innerhalb von 24 oder 48 Stunden – das Bewusstsein, was da passiert, passiert ist kommt erst später.

Kann man das Geständnis von Christoph W. als das Bewusstwerden seiner Tat deuten?

Wenn Sie damit Reue meinen, dann nicht. Tief im Innern weiß und wusste er, dass es falsch war. Und er wusste auch, dass er früher oder später entdeckt werden würde. Dass er sich aber gestellt hat, zeigt nur, dass er ein verändertes Unrechtsbewusstsein hat – er konnte nicht anders handeln, erhofft sich durch sein Geständnis nun bessere Chancen. Bei der Schwere, der Brutalität der Tat steht aber eines fest: Christoph W. ist extrem gefährlich.

Die Staatsanwaltschaft hat die Morde als „Overkill“ bezeichnet – warum?

Die Frage ist hierbei, was hat ein Täter getan, was er nicht hätte tun müssen. Es hat Christoph W. nicht ausgereicht, einmal zuzustechen – er hat die Eltern regelrecht abgeschlachtet. Tätern, die so agieren, geht es darum, die Identität ihres Opfers komplett zu zerstören. Das zeigt sich auch in dem Verbrennungsversuch des Vaters. Die völlige Vernichtung steht hier im Vordergrund, so etwas ist so eiskalt und durchtrieben – das ist nicht therapierbar, niemals.

 

 

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