Prozessauftakt: Münchner Pestizid-Rebellen stehen vor Gericht
München - "Südtirol hat nicht nur ein Pestizidproblem, sondern auch ein Demokratieproblem." Das behauptet Karl Bär vom Münchner Umweltinstitut.
Ob diese Behauptung zutrifft, klärt ab Dienstag das Bozener Landesgericht, das sich auch mit der Meinungsfreiheit auseinandersetzen muss.
Begonnen hat die Geschichte relativ harmlos. Im August 2017 hängte das Münchner Umweltinstitut ein Plakat an der S-Bahn-Station Karlsplatz auf. Statt saftiger Hänge voller Obst in Südtirol waren Bauern inmitten von Nebelschwaden aus Spritzmitteln zu sehen. Darunter die Aufschrift "Pestizidtirol".

Dazu gab es eine Internetseite mit Fakten zum Pestizideinsatz. Dass diese provokante Kampagne solchen Zorn auf sich ziehen würde, hatte Bär als Referent für Agrarpolitik damals wohl nicht gedacht. Jetzt drohen ihm nicht nur eine Geld- und Freiheitsstrafe, sondern auch Schadenersatzzahlungen in Millionenhöhe.
Gleiches droht auch dem mitangeklagten österreichischen Autor Alexander Schiebel und seinem Münchner Verlag Oekom. Schiebel hatte das Buch und 2017 den gleichnamigen Film "Das Wunder von Mals" veröffentlicht. Darin erzählt er vom Widerstand der Gemeinde Mals gegen den Pestizideinsatz.
Kritische Textstelle: Landwirte des Mordes bezichtigt
Eine Textpassage, in der er Landwirte als Mörder bezeichnet haben soll, könnte ihm nun zum Verhängnis werden. Wegen "übler Nachrede und Markenfälschung" verklagte der zuständige Agrarlandesrat Arnold Schuler, selbst Landwirt, die Pestizid-Kritiker. "Als Bauer lasse ich mir nicht vorhalten, den Tod von Menschen bewusst in Kauf zu nehmen", erwidert Schuler. "Solche Aussagen gehen weit über die Meinungsfreiheit hinaus."
So sehen es auch über 1.300 Kollegen von Schuler als Nebenkläger. Einer von ihnen, der Genossenschaftsvorsitzende Thomas Oberhofer, rechtfertigt den Einsatz von Pestiziden. Man halte sich dabei "streng an die Vorschriften. Wir betrachten uns als einen der Musterschüler von Europa. Da tut es weh, wenn man angegriffen wird."
Zu viel "Golden Delicious" und "Gala"
Die Angeklagten führen ins Feld, dass die überwiegend konventionelle Apfelwirtschaft auf wenige, oft für Pilzerkrankungen anfällige Sorten wie "Golden Delicious" oder "Gala" setze. Diese beiden Sorten machten laut Bär 2017 rund die Hälfte der Anbaufläche aus - eine Monokultur, die einen hohen Einsatz von Pestiziden benötige. "In Südtirol wurden laut italienischem Statistikamt Istat im Jahr 2018 sechs Mal mehr Pestizide verkauft als im landesweiten Durchschnitt."
Flankenschutz bekommen Bär und Schuler auch vom Südtiroler Landtagsabgeordneten Peter Faistnauer der Fraktion "Team K". Der Biobauer fordert ein Verbot "jeglichen Einsatzes von Pestiziden" in Trinkwasserschutzzonen. 2018 seien an 16 von 17 Messpunkten für Oberflächenwasser Pestizide nachgewiesen worden. "An fünf Punkten wurden die Grenzwerte sogar überschritten."
"Schauprozess" gefährde die Landwirtschaft
"Jetzt haben wir den Salat", kommentiert der Grünen-Abgeordnete in Bozen, Hanspeter Staffler, die Anzeige Schulers. Denn damit habe er "dem Land und der Sache einen Bärendienst erwiesen". Nun werde der Pestizideinsatz in dem Mammutprozess mit 90 Zeugen, darunter 30 Sachverständigen, "weit über unsere Grenzen hinaus bekannt werden".
Der Bioland Verband Südtirol ist besorgt über die sich anbahnende gerichtliche Eskalation. "Dieser Schauprozess zeigt sich bereits in seiner jetzigen Wirkung als gefährlich pauschalisierend für unsere Landwirtschaft."
Ähnlich sieht es auch Bärs Südtiroler Anwalt Nicola Canestrini. Er bezeichnet den Prozess als "Gift für die Demokratie" und gibt sich zuversichtlich. "Das wird nicht ein Prozess gegen Karl Bär und Alexander Schiebel, sondern gegen den Pestizideinsatz in der Landwirtschaft."
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