Populär und berauschend
Um Tri Tra Trullala ist es beim Internationalen Figurentheater-Festival noch nie gegangen, aber es musste wohl ein Holzkopf mit der Klatsche kommen, um die erstarrte Bühnen-Ordnung an der Barriere zwischen hoher Kunst und drastischer Komödie in neues Wohlgefallen aufzulösen.
Als vor 33 Jahren in Erlangen die Idee fürs spartensprengende Spektakel im Städte-Verbund erste Konturen annahm, war der Verkehrskasper noch populärer als die grade erst erfundene Muppet Show. Wenn jetzt bei der 17. Folge der alle zwei Jahre wiederkehrenden Veranstaltung vom 13. bis 22. Mai insgesamt 59 Kompanien aus 15 Ländern bei über 100 Veranstaltungen in Erlangen, Nürnberg, Fürth und Schwabach vor etwa 20000 Zuschauern auftreten, grüßen die heimlichen Paten wohlwollend aus dem Hintergrund. Sie haben Maske und Mensch, Objekt und Bild, Videokunst und Daumenkino, Tanz und Artistik in innigste Umarmung mit dem Theater getrieben – und da ist einfach alles möglich geworden.
Neben berauschender Fantasy-Revue und hochkomplizierter Multimedia-Avantgarde eben auch die weiterhin handgesteuerte Märchen-Comedy und (unter Anleitung des meisterlichen Gyula Molnár aus Ungarn) sogar das Graben nach „Kasperls Wurzeln“.
Nichts strapaziert dabei den Humor der Künstler mehr als die wiederkehrende Floskel-Beschreibung, hier würden „die Puppen tanzen“. Denn bei ihnen wird nicht bloß getanzt, da wird die (Theater-)Welt bewegt.
Es hilft alles nichts, jeder Zuschauer muss sich seinen eigenen Festival-Pfad durchs Programm schlagen. Die Mühe lohnt. Mancher wird zehn Tage lang in allen vier Städten unterwegs sein und versuchen, möglichst viel von den 132 (!) Stunden Theater mitzubekommen, andere suchen nur nach Höhepunkten – und dürften dabei auch kaum Ruhetage haben.
Das betrifft zunächst die festen Größen im Spielplan. Zu den Legenden gehören die französische Compagnie Philippe Genty („Bewegungslose Reisende“ ist in Erlangen, Fürth und Nürnberg zu sehen) und der allgegenwärtige Holländer Neville Tranter. Er hat bei vielen Festivals schwarzhumorig seinen „Superstar“-Status angesammelt und verspricht diesmal mit „Punch & Judy in Afghanistan“ eine intime Variante.
Zwischen Superstars und fränkischem „Jedermann“
An seiner Brachial-Ästhetik ist die brasilianische Dudapaiva Company geschult, die in Nürnberg mit „Bastard!“ zuschlägt. Zu den „Klassikern“ gehören zudem Belgiens feinsinnige Compagnie Mossoux-Bonté (Erlangen bietet Werkschau und Ausstellung, „Magnetische Körper“ gibt’s auch in Nürnberg), die immer wieder irritierende Modellbau-Dramatik von Hotel Modern aus Holland („City Now“ im E-Werk) und die Spaß-Guerilla von „Das Helmi", die „Axel, hol den Rotkohl“ (Nürnberg) und „Matrix“ (Erlangen) zeigen.
Imposante Auftritte, die das große Format souverän füllen: Systeme Castafiore aus Frankreich mit „Stand Alone Zone“ (Nürnberg), Superamas aus Belgien/Österreich mit „Youdream“ (Erlangen), Companie Le Boustrophédon aus Frankreich mit dem bereits 2009 gefeierten „Hof der Wunder“ (Fürth) – jeweils in verwegenen Kombinationen aus Theater und Zirkus. Dazu die vielgerühmte Version von „Clockwork Orange“ aus Konstanz (Nürnberg).
Herausforderungen, die den Zuschauer aus dem Sessel heben, sind auch nicht zu verachten: Die Schweizerin Giséle Vienne mit „Kindertotenlieder“, das russische Akhe-Ensemble mit „Pukh & Prakh“ und Falk Richters düsteres Psycho-Spiel „Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs“ (alles in Erlangen).
Drei neue Stücke in Koproduktion haben beim Festival ihre Uraufführung. Der Medienkünstler Klaus Obermaier zeigt elektronisch aufgeladene Choreographien, die Compagnie Lá Où entwickelt ein Stück namens „Ritournelle“ (beides in Erlangen), und das Theater Kuckucks-heim aus Heppstädt zieht mit „Der fränkische Jedermann“ nach Fitzgerald Kusz vom Nürnberger Kunst-Kultur-Quartier aus neu formatiert durchs Programm.
Im Schwabacher Bürgerhaus wird vorwiegend das Papiertheater, manchmal zum Knüllen komisch, vorgestellt.
Fürs wahre Festival-Gefühl mit der täglichen Kombinationsmöglichkeit mehrerer Veranstaltungen bleibt Erlangen die erste Adresse. Es wäre fast das letzte Mal gewesen.
Das Fest feiern, ehe es fällt
Als vor acht Monaten der Stadtrat bei einer seiner Rotstift-Attacken das Festival und damit das eigene Kultur-Image bedenkenlos aufgeben wollte, half nur Bürger- und weltweiter Künstlerprotest – und ein sechsstelliger Sponsoren-Kraftakt von Siemens. Der ist, so ist aus der Erlanger Zentrale zu hören, ausdrücklich „einmalig“ angelegt. Allerdings soll laut Stadtrat auch der Spar-Einschnitt „einmalig“ gewesen sein – im Projektbüro plant man nun die nächsten drei Jahre. Und damit das nächste Festival 2013.
Ob man sich auf das Tri Tra Trullala der Politik verlassen kann? Man muss das Fest feiern, ehe es fällt.
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Karten gibt es an allen Vorverkaufsstellen, alle Infos unter www.figurentheaterfestival.de
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