Perlen vor die Säulen

Er ist der Igel dieses bis Sonntag dauernden 11. Internationalen Klezmer Festivals in Fürth: Joshua Horowitz ist immer schon da, und der Workshop-Guru und Wurzelbehandler aus New York mit dem hübschen Deutsch-Akzent weiß verdammt gut, wie der Hase läuft.
Seine Gruppe Budowitz machte den Anfang mit „gezielten Schlampereien“, wurde tagsdrauf flugs umetikettiert und vergrößert zur „Hochzeitsmusik“ des Goldenshteyn Memorial Ensemble und tauchte gestern Abend als Dozenten-Runde im Azubi-Konzert wieder auf. Man muss also in dieser Beziehung von einem Programm aus einem Guss sprechen. Die hoch gestimmte Klezmer-Familie jubelte jedenfalls in ausverkauften Häusern mit der Klarinette um die Wette. Und erlebte neben Bestätigungen auch eine Sensation: Das Duo Lerner/Moguilevsky aus Buenos Aires warf zu vorgerückter Stunde reichlich Perlen vor die Säulen des Kulturforums.
Bei den Grabungen der jungen jüdischen Sängerin Vira Lozinsky im jiddischen Lied Bessarabiens waren auf gleicher Entdecker-Position eher eine warme und wunderbar mühelose Alt-Stimme haften geblieben, die allerdings die Erinnerungsstücke aus der moldawischen Heimat (sie wuchs in Beltz auf und emigrierte nach Israel) allzu linear mit den Nachschöpfungen verknüpft und damit im Gesamteindruck hörbar einebnet.
Trommel-Groove und Tango-Gruß
„Wir haben irgendwann kapiert, dass Wiederholung nicht unsere Sache ist“, erklärt Marcelo Moguilevsky, der Zauberflötist, bei seinem Auftritt mittendrin. Das Vorbild Giora Feidman war bald abgearbeitet und da es in Argentinien keine livehaftige Klezmer-Konkurrenz gebe, habe man seinen „eigenen Stil“ finden müssen. Kann man sagen. Das musikalische System, das der Enkel jüdischer Russland-Immigranten mit seinem Partner César Lerner (Piano, Akkordeon, Trommel) in 27 Jahren verzahnt hat, ist unbeschreiblich, durch ein ganzes Weltmeer vom Shtetl-Allerlei entfernt. mischen sich improvisationslustvoll in Kunstpfeiferei, Maultrommel-Exotik und eine durch alle Gefühlslagen rauschende Klarinette, wo hinterm Hämmern, Keckern und Klappern auch noch die Meeresbrandung reizvoll hereinbricht. Und wenn die Beiden am Ende vierhändig am Flügel sitzen, verstärkt sich der Eindruck einer ewigen Flitterwöchnerei.
Bei der osteuropäischen „Hochzeitsmusik“ aus der Stücke-Sammlung des German Goldenshteyn schimmerte dagegen immer wieder die Zwangsehe einer Brauchtumspflege durch, die Goran Bregovic, Taraf de Haidouks und Fanfare Ciocarlia längst im Jetzt verankert haben. Gipsy-Brass, Geigen-Schluchzen.und Achtel-Rhythmen reichen nur zum Fachwerks-Balkan mit solidem Lippen-Schwelbrand am Triller-Ventil. Die elfköpfige „Memorial“-Gruppe um den US-Klarinettisten Alex Kontorovich, die sich zum Finale pumpende Bewegung mit einer Polonaise durchs Parkett verschafft, dampft vorwiegend im eigenen Saft und kommt über einen respektablen Vorführeffekt nicht hinaus. Da ist der Drehwurm drin.
Auch das routinierte Sextett Budowitz um Identitätsstifter und Spielfreudianer Joshua Horowitz an Knopfakkordeon und Tsimbl schraubt sich mit Vorliebe in ihre Spiralen aus Csardas-Glut und hüpfender Wehmut und richtet dabei die platt gemachten Volksmusikwelten wieder auf. Da steht dann der Traditions-Tourismus in vollster Blüte, wenn die aufzwirbelnde Frische der verfemten Unterhaltungs-Dienstleister herausgestrichen wird (der ungarische Geiger Támas Gombai fällt mit Zwischenton-Dynamik besonders auf). Und täglich grüßen die Klezmorim.
Die Pflicht hätte das Festival damit erfüllt, die Kür kann kommen. Gerne auch in der Kur-Packung.
Andreas Radlmaier
Konzerte-Info: Tel. 974-1682