Ohne Reue: Lebenslang für Ursula Herrmanns Entführer

AUGSBURG - Fast zwanzig Jahre nach der Entführung von Ursula Herrmann ist der 59-jährige Angeklagte am Donnerstag zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Seine mitangeklagte Ehefrau wurde frei gesprochen.
28 Jahre nach der Tat und 13 Monate nach Prozessbeginn ist es für das Augsburger Schwurgericht erwiesen: Werner M. (59) hat 1981 in Eching am Ammersee die zehnjährige Ursula Herrmann vom Fahrrad gerissen und in eine Holzkiste gesperrt. Das Mädchen erstickte, weil die Luftzufuhr nicht funktionierte, nicht funktionieren konnte. Der Angeklagte ist schuldig des erpresserischen Menschenraubes mit Todesfolge. Richter Wolfgang Rothermel: "Er hat leichtfertig den Tod verursacht. Wir sind schon nah am Mord." Die Strafe: Lebenslang. Seine Frau wurde frei gesprochen. Ihr konnte die Beihilfe nicht nachgewiesen werden.
Werner M. reagierte bei der Urteilsverkündung unbeeindruckt, griff stattdessen zu Stift und Papier und notierte sich ausführlich die Urteilsbegründung. Damit demonstrierte er: Der Kampf hat für mich erst begonnen. Ich gehe in Revision. Als er nach dem Ende der Sitzung gefragt wird: "Waren Sie's?", antwortet er ohne Zögern: "Natürlich nicht. Finden Sie den Händler in Beverungen." Gemeint ist der Flohmarkt-Verkäufer, der ihm in seiner Version das Tonbandgerät Grundig TK 248 im Jahre 2007 verkauft haben soll.
Dieses Gerät war der Schlüssel zu der Verurteilung. Die LKA-Expertin Dagmar Boss hatte es als dasjenige identifiziert, mit dem "wahrscheinlich" die Erpresseranrufe 1981 produziert wurden. Ein starkes Indiz. Zumal alle Anstrengungen der Verteidigung dieses belastende phonetische Gutachten anzugreifen scheiterten.
Das Tonband war das wichtigste, aber nicht das einzige Indiz, das der Vorsitzende Richter in seiner zweistündigen Urteilsbegründung anführte. Auch das Geständnis eines Spezl, der zugegeben (aber später teilweise widerrufen) hatte, das Loch für Werner M. in den Waldboden bei Eching gegraben zu haben, war eine "wesentliche Säule". Dazu passte, dass der in großer Finanznot lebende Werner M. ein starkes Motiv hatte. Er besaß zudem das notwendige handwerkliche Geschick und die Ortskenntnis, um eine Holzkiste zu bauen und Ursula auf dem Nachhauseweg abzupassen. Das Mädchen war kein zufälliges Opfer, Werner M. kannte die Familie.
Er hatte angekündigt, bald zu schnellem Geld zu kommen und nannte in Gesprächen ausgerechnet die Summe von zwei Millionen Mark, die der Erpresser später in seinem Brief an die Eltern von Ursula fordern wird. Charakterlich war Werner M. eher unangenehm aufgefallen - sein Stiefsohn berichtet von willkürlichen Schlägen, Werner M. gab selber zu, seinen Hund wegen einer Nichtigkeit in die Tiefkühltruhe gesteckt zu haben. Das Tier erstickte.
Der Verdacht gegen andere wie den ehemaligen Polizisten Harald W. habe sich dagegen nie beweisen lassen, urteilte das Gericht. Aus dieser Gesamtschau der Indizien lasse sich ohne vernünftigen Zweifel auf die Schuld des Angeklagten schließen.
90000 Blatt Akten, 55 Verhandlungstage, 35 Sachverständige, 197 Zeugen - der Aufwand war enorm. Und doch bleiben Zweifel, auch bei der Familiie des Opfers, die seit 28 Jahren mit dem gewaltsamen Tod von Ursula leiden muss. "Meine Mutter leidet seitdem an Rheuma. Das hängt mit Ursulas Tod 1:1 zusammen", erklärt Michael Herrmann im AZ-Gespräch. Zur Urteilsverkündung sind die Eltern nicht gekommen, haben es wie während des gesamten Prozesses dem Sohn überlassen, die Position der Familie zu vertreten.
"Sühne ist uns fremd", erklärt Michael Herrmann. Im Gerichtssaal sei Recht gesprochen worden. Gerechtigkeit suchen die Angehörigen von Ursula aber woanders. Immerhin: "Für uns war es auch wichtig, dass klargestellt wurde, dass Ursula nicht qualvoll erstickte." Das hatte unter anderem der Gerichtsmediziner berichtet. Die kleine Ursula war nach Ansicht des Gerichts wohl betäubt worden. Sie erstickte bereits nach 30 bis 60 Minuten in der Kiste. Ihre Körperhaltung und die Ordnung in der Kiste lassen darauf schließen, das sie keinen langen Todeskampf auszustehen hatte.
Die Chancen der Revision auf Aufhebung des Urteils sind gering. Das wissen die Verteidiger und das sagt auch Ermin Brießmann, Rechtsanwalt, ehemaliger Richter am Oberlandesgericht und seit seinem Engagement im Fall Vera Brühen ein Experte in Sachen Revision und Indizienproze?: "Der 1. Senat des Bundesgerichtshofs hebt vielleicht bei einem Prozent der Fälle Verurteilungen wieder auf." Sein Ziel "Freispruch" scheint für Werner M. in ganz weite Ferne gerückt.
John Schneider