Nürnberger Gesetze: Das traurige Jubiläum

Am 15. September 1935 machten die Nazis Juden und andere Minderheiten zu rechtlosen Gruppen
NÜRNBERG Sie bestanden aus nur wenigen Zeilen, ihre Wirkung aber war verheerend: Mit den sogenannten „Nürnberger Gesetzen“ machten die Nazis im 3.Reich die Juden, später auch Sinti, Roma und Farbige zu rechtlosen Bevölkerungsgruppen – und schufen damit die Grundlage für den Holocaust. Der Historiker Eckart Dietzfelbinger vom Nürnberger Dokuzentrum Reichsparteitagsgelände ist überzeugt: „Sie gehören zu den kriminellsten Gesetzen, die jemals in der Geschichte der Menschheit erlassen wurden.“ Am Mittwoch jährt sich der Erlass zum 75. Mal.
Das Reichsbürgergesetz billigte nur noch Angehörigen „deutschen und artverwandten Blutes“ volle Rechte zu. Damit wurden Juden nicht nur aus dem Wirtschafts- und Berufsleben gedrängt, mit ihm war auch die Grundlage für die spätere Beschlagnahme jüdischen Eigentums gelegt. „Schulfreunde kannten ihre jüdischen Kameraden nicht mehr, sie durften nicht mehr Straßenbahn fahren, nicht mehr in Vereinen Mitglied sein. Juden starben den sozialen Tod“, so Dietzfelbinger.
Administratives Hebelwerk für Ausgrenzung und Vernichtung
Noch mehr vergiftet wurde das politische Klima vom „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“. Diese Paragrafen bestraften Ehen oder sexuelle Kontakte mit Juden mit Zuchthaus oder dem Tode. Harmlose Umarmungen, vom Nachbarn der Gestapo gemeldet, konnten das Leben kosten.
Die Gesetze wurden in wenigen Stunden in Nürnberg zusammengeschustert. Reichsinnenminister Wilhelm Frick und Reichsärzteführer Gerhard Wagner arbeiteten bis in die frühen Morgenstunden des 15. September 1935 daran. Stunden später beschloss der im Nürnberger Kulturvereinshaus einberufene Reichstag die Gesetze. „Die Rassegesetze waren für Hitler das administrative Hebelwerk, um die Ausgrenzung und spätere Vernichtung steuern zu können“, erklärt Dietzfelbinger.
Das Original des Gesetzestextes, von Rudolf Hess unterschrieben, lagert im Bundesarchiv, das einzige, völlig identische Faksimile im Nürnberger Stadtarchiv. Klaus Tscharnke