Nürnberg: Letztes Urteil im berühmtesten Gerichtssaal der Welt

Nürnberg - Schwere Holzvertäfelung, 250 Quadratmeter Fläche, sechseinhalb Meter hohe Decke: So sieht der wohl berühmteste Gerichtssaal der Welt aus. Hermann Göring, Martin Bormann, Rudolf Heß, Albert Speer – die meisten Nazis aus der ersten Reihe saßen hier im Saal 600 bei den "Nürnberger Prozessen" (1945 –1949) auf der Anklagebank.
Am Donnerstag um 15 Uhr wird im Sitzungssaal 600 das Urteil gegen ein Paar verkündet, das den gewaltsamen Tod eines Mannes auf dem Gewissen hat. Es ist das letzte Gerichtsurteil in diesem Saal, der Weltgeschichte schrieb. Danach zieht das Schwurgericht, das hier tagte, in einen Neubau um.
Schwurgericht war für die heiklen Fälle konzipiert
Vollständige statistische Erhebungen über das komplette "Programm", das im 600er in einem ganzen Jahrhundert gespielt wurde, gibt es nicht. Ein Stelldichein der "schweren Jungs" war es allemal. "Das Schwurgericht war von Anfang an für die heiklen Fälle konzipiert", erläutert Justizsprecher Friedrich Weitner die Historie des Schwurgerichtsgebäudes.
Heikle Fälle – das sind Mord, Totschlag und andere Straftaten, bei denen Menschen ums Leben kommen. "Einige Hundert könnten es gewesen sein, die im Sitzungssaal 600 auf der Anklagebank saßen", schätzt Justizsprecher Weitner grob. Etwas genauere Zahlen hat das Polizeipräsidium parat. Danach gab es seit 1960 rund 500 Mordfälle in Nürnberg.

Gesichert zu sein scheint auch, dass die "Gäste" des Schwurgerichts in der Regel nicht auf große Gegenliebe stießen. Freisprüche von angeklagten Mördern sind an den Fingern einer Hand abzuzählen. Der Ehemann der "Flora"-Wirtin, die im August 1990 ermordet wurde, gehört zum Beispiel dazu. Oder ein 47-jähriger Mann, dem der Erlanger "Tiefgaragen"-Mord (1999) an einer Frau nicht nachgewiesen werden konnte.
Freisprüche von Mördern sind selten
Zu den Glücklichen dieser Art zählt auch der Neonazi Karl-Heinz Hoffmann, der Gründer der nach ihm benannten und 1980 verbotenen rechtsextremen "Wehrsportgruppe Hoffmann". Eine Verwicklung in den Mord an dem jüdischen Verleger Shlomo Levin und dessen Lebensgefährtin im Dezember 1980, der von seinem engsten Gefolgsmann Uwe Behrendt verübt worden sein soll, konnte ihm im Sitzungssaal 600 nicht nachgewiesen werden.
Einen Vorteil gegenüber den Nazis aus dem "Dritten Reich" durfte Karl-Heinz Hoffmann bei seinem Auftritt im Sitzungssaal 600 fast ein halbes Jahrhundert später genießen, wie ein Zufallsfund belegt. Bedienstete der Justiz entdeckten im Keller des riesigen Justizgebäudes erst vor Kurzem eine der harten Holzbänke, auf denen die Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg Platz nehmen mussten – ohne Polster und am Anfang sogar ohne Rückenlehne. So hart saß zuletzt kein Angeklagter mehr im Saal.
Scherben, Feuer, Tote: Die Reichspogromnacht in München
Die Tortur der unbequemen Sitzgelegenheit blieb Adolf Hitler erspart. Als der Prozess gegen seine "Chefetage" begann, war er tot. 20 Jahre zuvor, als die Nazis noch nicht an der Macht waren, trat der "Führer" als Zeuge auf, um seinem Weggefährten Julius Streicher beizustehen. Der Herausgeber des antisemitischen Hetzblattes "Der Stürmer" hatte sich mit Nürnbergs damaligem Oberbürgermeister (1920 –1933) Hermann Luppe angelegt, einem entschiedenen Nazi-Gegner.
Gerichtssaal wird ein Museum
Politische Motive, Geldgier, Eifersucht, Ausraster: So einfach ist die Suche nach den Motiven und Auslösern für das Schwurgericht nicht immer. Manchmal führt die Wahrheitssuche auch in die entlegensten Winkel der menschlichen Psyche. Kuno, der Vampir, war so eine Erscheinung. Weil er Menschenblut trinken wollte, um seine Taubheit zu verlieren, brachte er ein Liebespaar um – und grub Leichen aus Gräbern auf Friedhöfen aus.

Nach dem letzten Urteil ist der Saal übrigens nur noch Museum – als Teil des Nürnberger Memoriums, das an die Kriegsverbrecherprozesse nach 1945 erinnert. Sollte der Plan von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und den Nürnberger Stadtvätern aufgehen, wird er irgendwann zum Weltkulturerbe gekürt.
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