Nachbarn fühlten sich belästigt: 94-Jährige wird zwangsgeräumt
NÜRNBERG - Drama in der Nürnberger Nordstadt: Die 94 Jahre alte Rentnerin Ella S. musste gestern ihre Wohnung, in der sie mehr als 50 Jahre lebte, zwangsweise verlassen. Der Vermieter, die Postbaugenossenschaft, hatte die Räumung gerichtlich durchgesetzt.
Vor dem Mehrfamilienhaus versammelten sich Notarzt und Rettungswagen, Polizeibeamte, Rechtsanwälte – und die Gerichtsvollzieherin. Wie die Jagd nach einem Schwerverbrecher. Als die Gerichtsvollzieherin in Begleitung der Ordnungshüter und des Ärzteteams kurz nach 8 Uhr die kleine Wohnung im ersten Stockwerk des Hauses betraten, begann ein mehr als einstündiger Nervenkrieg. Ella S. schrie sich die Seele aus dem Leib. Ihre sich überschlagende Stimme dröhnte im ganzen Treppenhaus. Worte wie „raus, raus“ und „Hilfe“ waren zu hören, immer wieder lautes Aufschluchzen und unverständliches Gekreische.
In der Wohnung spielten sich dramatische Szenen ab, als sich die Tochter von Ella S. in den Weg stellte, um den Abtransport ihrer Mutter in ein Pflegeheim zu verhindern. Dennoch wurde Ella S. in den Krankentransporter verladen.
Rechtsanwalt Hendrik Pächtner, der die Zwangsräumung im Auftrag der Postbaugenossenschaft durchgesetzt hatte, verfolgte die Aktion mit gemischten Gefühlen. „Mir tut die Frau leid, aber es ging nicht anders. Die Situation war für die anderen Bewohner des Hauses einfach unerträglich geworden. Wir waren zum Handeln gezwungen“, sagte er zur AZ.
Der Schwiegersohn von Ella S. räumt durchaus ein, dass es mit ihr nicht einfach war: „Sie hat in den letzten Jahren altersbedingt oft herumgeschrien. Das war sicher eine Belastung für die anderen Mieter. Aber es war nicht so schlimm, dass man sie aus der Wohnung werfen muss.“
Helmut Reister
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