Nach Zockerei am US-Immobilienmarkt: Bayerische Versorgungskammer verliert 163 Millionen Euro

Mit breiter Brust steht Rainer Komenda vor Sitzungssaal 15 des Arbeitsgerichts in München. Graues Sakko, weißes Hemd, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Der Mann wirkt gefasst, ruhig, nicht nervös. Dabei kämpft er in wenigen Minuten um seine Reputation – nachdem er zuvor bei Deutschlands größter öffentlich-rechtlicher Pensionsgruppe fristlos gefeuert wurde. Das will er nicht hinnehmen.
Komenda investierte als Abteilungsleiter der Bayerischen Versorgungskammer (BVK) die Altersvorsorge von fast drei Millionen Deutschen – darunter Ärzte, Apotheker, Architekten, Rechtsanwälte, zum Teil auch Abgeordnete des Bayerischen Landtags. Die BVK ist eine Oberbehörde des Freistaats und steht unter Aufsicht des Innenministeriums.
Unter Komendas Ägide flossen Hunderte Millionen Euro in vermeintliche Prestigeimmobilien in den USA: die Transamerica-Pyramide, Wahrzeichen von San Francisco. Das Big Red Building in Chicago. Luxushotels unweit des Strands von Miami Beach. Teure Gebäude, mitten in Manhattan.
Ex-Manager verklagt Versorgungskammer in München
Eine Trophäenjagd mit Pensionsgeld. Nur: Heute gleichen viele dieser Objekte Baustellen, stehen größtenteils leer oder wurden verkauft. Vor Ort verantwortlich auf amerikanischer Seite: Michael Shvo, ein New Yorker Immobilienentwickler, der 2018 zu einer Strafe von 3,5 Millionen Dollar wegen Steuerbetrugs verurteilt wurde.

Die Richterin kommt gleich am Anfang der Güteverhandlung zum Punkt – ohne zu sehr ins Detail zu gehen: In einem 50-seitigen Dokument habe die BVK Vorwürfe gegen ihren Ex-Manager erhoben. "Wenn sich dieser Sachverhalt als wahr herausstellt, könnte das für Sie, Herr Komenda, zu Problemen führen."
Bekannt ist: Die BVK spricht von einem nicht angemessenen Näheverhältnis "zu gewissen Personen". Gemeint ist wohl vor allem Michael Shvo, der verurteilte Steuerbetrüger. Komenda hatte sich mit ihm in diversen US-Städten in und vor den Gebäuden fotografieren lassen, obwohl die BVK nach eigenen Angaben nur über eine komplexe Fondsstruktur investierte und vor Ort keine operative Aufgabe hat.
Nach fristloser Kündigung und interner Untersuchung: BVK-Personalchef fehlt "Fantasie" für gütliche Einigung
Der Ex-Manager schweigt zu den Vorwürfen. Sein Anwalt argumentiert, nach zwei Jahrzehnten ohne Beanstandung wäre eine Versetzung oder Abmahnung eine Option gewesen – statt eines Rausschmisses. Doch der anwesende Personalchef der BVK bleibt hart: "Mir fehlt die Fantasie, wie wir uns gütlich einigen sollen." Das Vertrauensverhältnis sei mittlerweile zerstört.
Im April sei Komenda noch zu einer internen Untersuchung angehört worden – dann kam die fristlose Kündigung. Die BVK hatte der Staatsanwaltschaft München I darauf einen Untersuchungsbericht übergeben. Derzeit prüft die Behörde, ob ein strafrechtlicher Anfangsverdacht vorliegt. Es gilt die Unschuldsvermutung. Komenda äußerte sich gegenüber Pressevertretern dazu nicht.
Münchner Fachanwalt für Kapitalmarktrecht: "Naiv, grob fahrlässig oder Verstoß gegen Pflichten"
Im Publikum verfolgen auch internationale Medien das Verfahren. Unter den Zuhörern sitzt außerdem Stephan Greger, Münchner Anwalt für Kapitalmarktrecht. Er vertritt Wirecard-Anleger und Aktionäre – und ist selbst betroffen: Als bayerischer Rechtsanwalt wird seine Altersvorsorge von der BVK verwaltet. Er hat sich bereits mit Fragen direkt an die Behörde gewandt.
"Als Fachanwalt kenne ich viele Fälle gescheiterter Immobilienfonds", sagt Greger im Gespräch mit der AZ. "Von institutionellen Anlegern ist zu erwarten, dass sie die Risiken kennen und nicht auf windige Immobilienspekulanten hereinfallen."
Die BVK-Investments seien "entweder naiv, grob fahrlässig oder unter Verstoß gegen Pflichten" erfolgt. "Es ist ein Skandal, dass die Millionen betroffener Mitglieder aus der Presse von diesen Vorgängen erfahren", so Greger.
163 Millionen Abschreibungen: Neue Zahlen durch Anfrage im Bayerischen Landtag offengelegt
Die Dimension des Debakels wird erst langsam sichtbar. Aus einer Landtagsanfrage von SPD-Politiker Florian von Brunn, die der AZ exklusiv vorliegt, geht hervor: 163 Millionen Euro wurden bereits abgeschrieben. "Weitere Wertberichtigungen können zum aktuellen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden", teilt die BVK auf AZ-Nachfrage mit.

Von Brunn ist schockiert: "Über 160 Millionen Euro an Altersvorsorge wurden fahrlässig verbrannt. Das liegt an Managerversagen, aber offensichtlich auch an erheblichen Fehlern der Regierung Söder." Man vertraue "blind auf Finanzmärkte und irgendwelche Fondsmanager, statt seine Aufsicht ordentlich auszuüben". Der Fall erinnert ihn an die Milliardenverluste rund um den Hypo-Alpe-Adria-Skandal.
Reisen mit dem Privatjet und ein Penthouse in Miami: BVK wurde vor US-Entwickler Michael Shvo gewarnt
Nicht nur die Fotos von Komenda und Shvo werfen Fragen auf: Bereits 2020 hatte Serdar Bilgili, ein türkischer Geschäftspartner, direkt an Komenda geschrieben. Bilgili war nach eigenen Angaben Mitinvestor in den Shvo-Projekten gewesen, hatte persönliche Garantien übernommen – und ist damals aus den Projekten ausgebootet worden. Sein Warnschreiben liegt der AZ im Wortlaut vor.
Nach Bilgilis Angaben in dem Dokument seien 600.000 Dollar für Privatjets zu "projekt- und nicht-projektbezogenen Orten" ausgegeben worden. Außerdem seien monatlich 40.000 Dollar für Shvos persönliches Penthouse in Miami den Projekten in Rechnung gestellt worden. Eine um 420.000 Dollar überhöhte Büromiete in New York bedeute "reinen Profit für Shvo auf Kosten der Projekte", heißt es in dem Brief.
Die Versorgungskammer teilte 2024 auf AZ-Anfrage mit, die Thematik sei "im Rahmen dieser Prüfung seinerzeit geklärt und abgeschlossen worden". Weitere Details? Fehlanzeige.
Ex-Anwalt von Donald Trump mischt mit: Klagen gegen Versorgungskammer sollen zeitnah wieder aufgenommen werden
Die Schwierigkeiten bei den Projekten wurden bereits vor einem Jahr in den USA spürbar. Geschäftsmann John Goodman, der für mehr als fünf Millionen Euro ein Luxus-Apartment in Manhattan gekauft hat und eine Baustelle am Eingang vorfand, hat damals geklagt und inzwischen ein Team rund um Marc Kasowitz engagiert.
Über zwei Jahrzehnte war er Donald Trumps persönlicher Anwalt. Er vertritt nun geschädigte Käufer und Mieter der Shvo-Gebäude. "Wir beobachten die Entwicklungen genau", lässt Kasowitz’ Kanzlei die AZ wissen. Die Zivilklagen über mehr als 600 Millionen Dollar gegen das Investorengeflecht rund um Shvo und die BVK, die vor einigen Monaten zunächst ausgesetzt wurden, "werden wahrscheinlich in naher Zukunft wieder aufgenommen".
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann schaltet sich ein
Mittlerweile ist auch Bayerns politische Führung eingeschaltet. Anfang August telefonierte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) mit BVK-Chef Axel Uttenreuther. Es ging um "personelle Veränderungen" und die internen Untersuchungen.
"Die Versorgungskammer hat bereits Änderungen im Hinblick auf interne Prozesse eingeleitet", sagt Herrmann der AZ. Er relativiert: "Eine risikolose Kapitalanlage gibt es nicht." Die BVK habe 2024 immerhin 3,4 Prozent Rendite erzielt.

Sein Ministerium, das die BVK wiederum beaufsichtigt, verweist auf die Selbstverantwortung der Versorgungskammer. Die Behörde treffe Investitionsentscheidungen "eigenverantwortlich", heißt es auf AZ-Anfrage. Die Probleme lägen außerdem an Corona, Inflation und steigenden Zinsen.
Grünen-Abgeordneter Tim Pargent kritisiert Besetzung des Vorstands
Tim Pargent, finanzpolitischer Sprecher der Landtags-Grünen, wirft dem Ministerium Versagen vor: "Trotz regelmäßiger Reportings hat das Ministerium untätig zugesehen, wie Vorsorgegelder in unsicheren Immobiliengeschäften aufs Spiel gesetzt wurden."
Er kritisiert darüber hinaus, dass "Schlüsselpositionen im Vorstand mit ehemaligen Mitarbeitern aus dem eigenen Haus" besetzt würden. Tatsächlich arbeiteten mehrere BVK-Vorstandsmitglieder zuvor im Innenministerium. "Da drängt sich der Eindruck auf, dass politische Loyalität schwerer gewogen hat als fachliche Qualifikation."
Anwalt Greger, der sich mit einer Anfrage an die BVK gewandt hat, sagt: "Ob das Ministerium die Risiken der Shvo-Beteiligungen tatsächlich detailliert geprüft und richtig eingeschätzt hat, ist fraglich." Immerhin: Die aktuellen Maßnahmen des Ministeriums zu den US-Geschäften seien zu begrüßen. "Eine umfassende interne Aufklärung ist erforderlich."
Finanzielle Dimension bleibt weiter unklar: Es fließt auch heuer Pensionsgeld aus München in die US-Projekte
Trotz der Probleme floss dieses Jahr weiter Geld in die USA. "Wir haben dieses Jahr zusammen mit ihnen weitere 250 Millionen Dollar neues Eigenkapital in unser Portfolio investiert", sagte Shvo kürzlich dem "San Francisco Standard". Die BVK bestätigt auf Nachfrage "einzelne Kapitalzusagen" für den "Ausbau von neu vermieteten Flächen". Die genannte Summe dementiert die Behörde nicht.
Davon abgesehen bleibt der Umfang der Investments weiter unklar. In einer Landtagsanfrage sprach die BVK von 611 Millionen Euro, die in vier Projekte unter Beteiligung von Shvo geflossen sind. Im Interview mit der "Welt am Sonntag" nannte BVK-Chef Uttenreuther vor wenigen Wochen 800 Millionen.

Nach AZ-Recherchen steckt Geld in mindestens sieben Immobilien. Auf konkrete Nachfragen teilt die BVK mit: "Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns aus rechtlichen Gründen zu weiteren Details von Kapitalanlagen nicht gegenüber Medien äußern können."
Kammerverhandlung erst im März 2026 angesetzt
Im Gerichtssaal neigt sich die Güteverhandlung dem Ende zu. Eine Einigung, bei der beide Seiten ohne längeres Verfahren auseinandergehen könnten, scheitert. Die Richterin schlägt noch eine Mediation vor – zur Streitbeilegung. Vergeblich. Die Kammerverhandlung wird für den 19. März 2026 angesetzt.
Als die Richterin fragt, ob Komenda an diesem Termin verhindert sei, sagt der frühere BVK-Mitarbeiter seinen einzigen Satz an diesem Nachmittag: "Derzeit ist nichts geplant." Er steht auf, schüttelt der Gegenseite die Hand und verlässt den Saal. Was bleibt? Die Trophäenjagd nach US-Prestigeimmobilien mit deutschem Pensionsgeld ist zum Millionengrab geworden.