Nach Drama in Südtirol: Bergsport-Experte gibt Tipps, wie man am Berg sicher bleibt
Am 1. November ereignete sich ein schweres Lawinenunglück an der Vertainspitze (3545 m) in Südtirol. Fünf Bergsteiger zwischen 17 und 58 Jahren, allesamt aus Bayern, kamen dabei ums Leben. Laut Stefan Winter, Bergsportexperte beim Deutschen Alpenverein (DAV), ist die Zeit zwischen Herbst und Winter für den Bergsport eine besonders kritische. Warum das so ist, erzählt er im AZ-Interview.

AZ: Herr Winter, warum ist es aktuell so kritisch, in den Bergen Bergsteigen oder Skitouren zu gehen?
STEFAN WINTER: Man muss es zweigeteilt sehen: Unter 2000 Metern finden wir gerade gute Bedingungen vor, weil wir ein stabiles Hoch haben, das sich in den kommenden Tagen halten wird. Unter der Waldgrenze finden wir nur noch wenig Neuschnee. Das entspannt die Situation. Über der Waldgrenze, ab etwa 1800 Metern, liegt der Neuschnee, der vor knapp zwei Wochen gefallen ist. Der birgt Gefahren für Menschen, die darauf noch nicht eingestellt sind, weil es im Tal oder München gerade 15 Grad hat, das ist natürlich trügerisch. Es ist aber kein Sommer mehr, sondern die Winterzeit hat begonnen. Entscheidend ist jetzt also das Bewusstsein für saisontypische Gefahren.
"Eine Stunde vor Einbruch der Dunkelheit sollte man wieder am Parkplatz sein"
Welche zum Beispiel?
Ich wohne selbst am Tegernsee und beobachte oft, dass Menschen am späten Nachmittag aktuell noch mit einer Wanderung beginnen und so möglicherweise in die Dämmerung oder Dunkelheit geraten. Die verunglückten Bergsteiger in Südtirol sind noch um 16 Uhr unterwegs gewesen, das ist leider sehr spät, aber das war natürlich nicht der Grund für das Schneebrett, das ausgelöst wurde. Mir sind auch schon viele mit kurzen Hosen begegnet, doch sobald man in den Schatten geht oder die Sonne weg ist, wird es sehr frisch. Der richtige Wärme-Kälte-Schutz wird dann ein Thema. Wenn man dann ausrutscht und nicht mehr weitergehen kann, wird die Lage schnell ernst, wenn Unterkühlung droht. Auch benötigt man natürlich stabile Schuhe und keine Sneakers.
Welche Ausrüstung empfehlen Sie?
Sobald die Sonne weg ist, wird es sehr schnell kalt. Deswegen sind mehrere Bekleidungsschichten für den Oberkörper anzuraten, eine lange Hose, Stirnband oder Mütze und eine Notfallausrüstung. Sprich: Eine kleine Notfallapotheke mit Rettungsdecke, Taschenlampe oder Stirnlampe und ein geladenes Handy mit einer kleinen Powerbank sollte jeder dabei haben. Und man sollte immer so losgehen, dass man eine Stunde vor Einbruch der Dunkelheit wieder am Parkplatz ist.
"Bergwanderungen sind im Moment südseitig gut möglich"
Raten Sie derzeit überhaupt zum Bergsteigen oder Skitourengehen?
Für Skitouren liegt gerade noch zu wenig Schnee, das geht nur in den Zentralalpen auf Pisten. Bergwanderungen sind im Moment südseitig gut möglich, bis zur Waldgrenze. Die sind weitgehend schneefrei und trocken. Wanderungen im Tal, um die Seen der Region München, oder die Hügelketten, die davor liegen, die sind gerade sehr schön. Alles über 2000 Meter braucht eine gute Bergsteigerausrüstung.
Wie ist derzeit die Lawinenlage in den Bergen?
Ein Lawinenlagebericht wird gerade nur für die Schweiz herausgegeben. In den deutschsprachigen Ostalpen wird noch kein amtlicher Lawinenlagebericht veröffentlicht, weil der Schnee noch zu wenig ist. Das Hoch, das gerade noch wirkt, sorgt dafür, dass auch die Lawinengefahr zurückgeht. Einzig wo man aufpassen muss, ist in den Hochlagen, also über 2500 Metern. Im Steilgelände unterhalb von Gipfeln und nordseitig, dort kann es noch störanfällige Triebschneepakete geben, die dann als Schneebrett abgleiten können. Zudem muss man abseits der gesicherten Pisten auf Gletschern aufpassen. Die sind noch nicht komplett eingeschneit, entsprechend herrscht dort Spaltensturzgefahr.
