Nach dem Laufer Liebes-Drama: Jetzt spricht der Polizei-Chef
Präsident Gerhard Hauptmannl zur Einsatztaktik – und warum das Zimmer, in dem Opfer und Täterin waren, nicht gestürmt wurde.
NÜRNBERG/LAUF Am 3. Januar endet eine Beziehung in einem blutigen Drama: Auf der Laufer Polizeiwache schießt Polizistin Maria W. (25) auf ihren Ex-Freund Oliver B. (30) – und tötet sich. Der Tat ging ein zehnstündiger Verhandlungsmarathon mit der Täterin voraus. Auch polizeiintern wurde diskutiert: War Reden richtig? Hätte gestürmt werden müssen? Wurden Fehler gemacht? Auch dieser Frage stellte sich Mittelfrankens Polizeipräsident Gerhard Hauptmannl: „Nach den Erkenntnissen, die wir hatten, war es ein Einsatz nach Lehrbuch und jahrzehntelanger Erfahrung. Dass er so endete, ist tragisch. Doch wir wissen nicht, was wir anders hätten machen können.“
Noch wurde Oliver B. nicht vernommen. „Die Befragung wird Emotionen aufwühlen. Wir müssen erst sicher sein, dass der Genesungsprozess nicht gefährdet ist.“ Bevor Maria W. ihren Ex-Freund per SMS in die Dienststelle lockte, hatte sie sich am Vorabend in den am Wochenende leeren Büros versteckt. Ahnungslos ging der Ex ihrem Wunsch gemäß in den zweiten Stock, wurde dort von ihr überrascht. „Da verdichteten sich die Hinweise, dass sie ihre Waffe bei sich trug“, so Hauptmannl. Und auch, dass „eine latente Suizid-Gefahr bestand“.
Doch was sich im Zimmer abspielte, „wissen wir bis heute nicht“, so der Polizeichef. Im Gespräch mit einer Beamtin der Verhandlungsgruppe „war nie eine Gefahr zu bemerken, dass sie sich oder ihrem Ex-Partner etwas antut“, so Hauptmannl. Die ersten Stunden wurde nur mit ihm gesprochen. „Auch hier konnte man keine Bedrohung ableiten.“ Deshalb setzte der Krisenstab auf die Taktik Reden – und spielte die Möglichkeit einer Stürmung durch.
„Wir kannten ihr Innerstes auch nicht“
Doch die Lokalität stellte die Polizei vor Probleme: ein hellhöriges Haus, eine angespannte, sensible Frau, das Zimmer liegt fast am Ende eines 18 Meter langen Ganges. „Sie hätte bemerkt, wenn dort jemand läuft. Die Gefahr, dass sie dann auf ihren Ex-Freund oder die Spezialkräfte schießt, war zu groß – und unverhältnismäßig“, betont Hauptmannl. „Denn wir wissen bis heute nicht, ob oder was strafrechtlich Relevantes in dem Zimmer passiert ist. Wahrscheinlich hat sie ihn bedroht – aber wir wissen es nicht. Es ist Spekulation.“
„Über Stunden sagte sie immer wieder, dass sie niemanden verletzen wolle. Dann redete sie über ihre Zukunft“, auch die berufliche. Schwarz sah es für die Beamtin, die für den gehobenen Dienst vorgesehen war, trotz des Vorfalles noch nicht aus. Auch jetzt kann Hauptmannl sie nicht als Geiselnehmerin bezeichnen. „Hätte sie die Waffe abgelegt und Oliver B. ausgesagt, er hätte sich nicht bedroht gefühlt – dann wäre sie unter Umständen auch nur mit einem Verweis weggekommen“, so Hauptmannl.
Eingreifen durchs Fenster ging nicht, Vorhänge versperrten die Sicht. „Man darf nicht vergessen: Die Polizistin kannte Einsatztaktiken – wir hätten sie nicht überraschen können.“ Finaler Rettungsschuss? „Nur, wenn die Tötung oder Verletzung des anderen unmittelbar bevorsteht“. Das habe sich zu keiner Zeit auch nur angedeutet.
Die Möglichkeit, einen Beamten ins Zimmer zu schicken, der persönlich versucht, ihr die Waffe aus der Hand zu reden, verbot sich. Zu gefährlich: „Wir kannten ihr Innerstes auch nicht.“ Ruhig wurde das Gespräch mit Maria W. weiter geführt. Der letzte Satz, es war der meistgesagte in diesen zehn Stunden: „Ich will nicht, dass jemand verletzt wird.“ Eine Sekunde später fielen die Schüsse. Die letzten Sekunden könnte Oliver B. erklären – wenn er befragt wird.
Hauptmannl ringt zwei Wochen später noch um Fassung: „Wir wollten zwei Menschen helfen. Wir haben alles gemacht, was wir aufgrund unserer Erfahrung hätten tun können. Die Ohnmacht, rational oder emotional an einem Menschen nicht heranzukommen, trifft mich unheimlich.“ Stellt er sich die Frage nach der Schuld? „Ja. Aber am Ende einer Kette von Fragen. Was hätten wir für Alternativen gehabt? Ich sehe keine. Von diesem Ende konnte keiner ausgehen.“
Susanne Will