Mutter verzweifelt: Wo ist mein Sohn, der Punker?

Seit Monaten lebt Max S. auf der Straße. Die Familie des 17-Jährigen droht an der Belastung zu zerbrechen
von  Abendzeitung
Für Jugendliche, die auf der Straße leben (hier ein Symbolbild), gibt es Beratungsstellen. Ihre Eltern werden jedoch mit ihren Problemen oft alleingelassen.
Für Jugendliche, die auf der Straße leben (hier ein Symbolbild), gibt es Beratungsstellen. Ihre Eltern werden jedoch mit ihren Problemen oft alleingelassen. © Berny Meyer

Seit Monaten lebt Max S. auf der Straße. Die Familie des 17-Jährigen droht an der Belastung zu zerbrechen

NÜRNBERG Sie gehören zur Großstadt: Jugendliche mit dreckigen Kleidern, Irokesen-Haarschnitten und oft mittags schon einer Flasche Bier in der Hand. Jeder kennt das: Man schaut schnell weg, hofft, nicht nach „ein bisschen Kleingeld“ angesprochen zu werden. Anders reagiert Sabine S. (41). Sie sieht sich jeden genau an und hofft jedes Mal: Das ist mein Sohn, der Punker. Sie kauft Essen für jeden, den sie auf der Straße trifft. In der Hoffnung dass dies auch jemand für ihren Max (17) macht. Er hat das Leben auf der Straße gewählt.

„Ich kämpfe jeden Tag darum, dass Max’ Entschluss nicht mich und meine Familie ruiniert“, sagt sie. „Unsere Familie ist guter Durchschnitt: der Vater Akademiker, die Mutter kümmert sich daheim um die Kinder. Wir sind nicht asozial, wir saufen nicht – und doch passierte es.“

Die Frage, warum er abgehauen ist, beantwortete Max nicht. Aber auch niemand sonst kann der Mutter eine Antwort geben. Sie hört nur die bekannten Vorurteile: Straßenkinder kämen aus sozial schwachen Familien, sie seien emotional verarmt, wurden nie geliebt, die Eltern seien Alkoholiker und unfähig, ihr Kind zu erziehen.

Ganz normale Familie mit Eigenheim und Garten

„Das macht mich wütend, sagt sie. „Denn nichts von dem trifft auf uns zu. Wir sind eine ganz normale, fünfköpfige Familie, mit Stärken und Schwächen, Eigenheim und Garten.“ Die Kinder wurden gefördert, die Eltern fuhren sie zum Sportverein und engagierten sich im Elternbeirat.

Doch die Schule fiel Max schwer. Schon immer fühlte er sich „anders“. Vor einigen Jahren machte er Bekanntschaft mit Punks. Da fühlte er sich aufgehoben. Keiner fragte, wer er ist, was er kann. Er war einfach da.

Alkohol und Drogen wurden seine Begleiter. „Alle Versuche scheiterten, ihn da herauszuholen“, erzählt Sabine S. Gegen die vermeintliche Freiheit auf der Straße hatte sie keine Chance. Zu stark war Max’ Wunsch, kein Rädchen dieser „Spießergesellschaft“ zu werden.

„Wir haben viel versucht“, sagt die Mutter. Und zählt auf: Erziehungsberatung, Besuche beim Kinder- und Jugendpsychologen, Internat mit psychologischer Betreuung, Jugendamt, Familientherapie, enge Zusammenarbeit mit Schulen und Ausbildungsstätten. Drei Mal schmiss Max seine Ausbildung hin. Zwei Mal durfte er weitermachen. Sie kauften ihm sogar eine Wohnung, um ihm so viel Freiheit wie möglich zu geben. Vor fünf Wochen hat Max den Schlüssel seinen Eltern auf den Tisch geknallt. Zuvor hatte er wieder eine Lehre vorzeitig beendet. Mit den Worten „Ich hau’ ab“ verschwand er.

„Wir leben seither in Angst, Sehnsucht, Verzweiflung und Ohnmacht“, sagt die Mutter. „Jedes Mal, wenn das Telefon schrillt, habe ich neue Hoffung. Und gleichzeitig Angst, dass es die Polizei ist, mit einer grauenhaften Nachricht.“ Sie traut sich nicht, Max vermisst zu melden: Er drohte mit Selbstmord! Ihre Ehe und die Familie könnten an der Situation zerbrechen. Die Geschwister, erst acht und neun Jahre alt schlafen schlecht. Sie vermissen den großen Bruder.

„Ich brauche Hilfe“, sagt Sabine S. und sucht Eltern, denen es ähnlich geht. „Es gibt zurecht Anlaufstellen für Straßenkinder. Aber es gibt nicht eine für verlassene Eltern. Und das macht noch einsamer.“

Susanne Will

Sabine S. sucht Eltern, denen es ähnlich geht. Sie können sich unter Tel. 0911/ 2331132 bei der AZ melden – wir stellen den Kontakt zu ihr her

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