Mütter, Marken und Modelle
NÜRNBERG - Im Nürnberger Dürer-Haus werfen Grass und Jonathan Meese Blicke auf ein „Universalgenie“.
Bei Dürers am Tiergärtnertorplatz zieht die Unterhaltungselektronik ein. Modernste Flachbildschirme tauchen zwischen Handpressen und „Apokalypse“-Bestseller auf, als hätte der Hausherr, der von hier aus hellsichtig Umsätze und Image mit Geschick und Gespür lenkte, ein neues Medium entdeckt. Weil Albrecht Dürer vor genau 500 Jahren, am 14. Juni 1509, den repräsentativen Bau kaufte, kann man ab Sonntag in einer Sonderschau zum „medialen Insel“-Hopping ansetzen, wo dem Mythos eines „Universalgenies“ nachgespürt wird. Literaturnobelpreisträger Günter Grass mischt sich da ebenso ein wie Volker Staab, der Architekt des Neuen Museum.
In den „Blicken auf Dürer“, (von den Beteiligten kostenfrei gestiftet) geht es um Musen, Modelle, Marketing, Mütter und Melancholie. Günter Grass, Peter-Klaus Schuster (der ehemalige Generaldirektor der Berliner Museen mit Nürnberger Prägejahren im „Germanischen“) und Matthias Mende (immerwährender Dürer–Experte) plaudern in der Talk-Doku aus dem Lübecker Atelier von Grass geistreich über Brandt, Aristoteles und persönliche Erweckungserlebnisse: Schuster hatte seine Erstbegegnung in der Bibliothek der Tante, Grass faszinierte als Bub das Selbstporträt als Zigarettenbildchen, Mende der „Reichsdruck“ von „Ritter, Tod & Teufel“ und 1971 dann im Dürer-Jahr ein Vortrag von Grass über „Melencolia I“ (1514): Mitten in den Fortschritt, von dem der Engel mit dem Gesicht von Agnes Dürer umgeben ist, bricht die Wehmut ein: „Das Erstarren in der Stille“ ist für Grass „mögliche menschliche Grundhaltung“ und auch für seine Gesprächspartner Zeichen von Größe.
Neben Staab, der Werk und Werkstatt überblendet, und der Werbeagentur Interbrand, die das Telekom-Magenta erfand und hier Dürer Superstar an moderner Marketing-Architektur misst (Logo, Vertriebsnetz, Massenproduktion, Markenschutz) erlebt man erheitert, wie Anarcho-Maler Jonathan Meese als messianisches Großsprech Dürers berühmte Mutter-Zeichnung bespricht und dann beim Malen der eigenen Mutter mächtig auf die (Farb-)Tube drückt. Die „totale Mutter“ trägt „Kette – und fertig“. Trockenkommentar von „Mummy“ Meese: „Ich möchte mich eigentlich besser erkennen im nächsten Bild.“ Andreas Radlmaier
Ab 14. Juni (11 Uhr); bis 2.8., Di-So 10-17 Uhr, Do bis 20 Uhr
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