Mit den Gerichts-Papieren wurde Klutentreter reich

AZ-Serie: Aus dem Abfall der Nürnberger Prozesse stellte er Pappe her.
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Der Nürnberger Mäzen und Wellpappehersteller Kurt Klutentreter.
M. Meyer 2 Der Nürnberger Mäzen und Wellpappehersteller Kurt Klutentreter.
Die Sekretärinnen bei den Kriegsverbrecherprozessen erstickten fast in den Papierbergen. Alle Schriftstücke mussten in vier Sprachen übersetzt werden. Von den Abfällen profitierte Kurt Klutentreter.
Stadtarchiv Nbg/ Ray D'Addario 2 Die Sekretärinnen bei den Kriegsverbrecherprozessen erstickten fast in den Papierbergen. Alle Schriftstücke mussten in vier Sprachen übersetzt werden. Von den Abfällen profitierte Kurt Klutentreter.

AZ-Serie: Aus dem Abfall der Nürnberger Prozesse stellte er Pappe her.

NÜRNBERG Kurt Klutentreter (†90) hatte viele Gesichter. Als Kunstmäzen („Narrenschiff“) trat er in Erscheinung, schrieb eine Biographie, war erfolgreicher Unternehmer. Zuletzt fiel der altersbedingt immer schrulliger werdende Multimillionär als hartnäckiger Wiederholungstäter auf, weil er gegen ihn verhängte Fahrverbote schlichtweg ignorierte. Als junger Mann zeichnete ihn aber eher seine Nase für lukrative Geschäfte aus. Die Prozesse gegen die Nazi-Kriegsverbrecher kamen ihm da gerade recht. Mit deren Hilfe legte der pfiffige Nürnberger den Grundstein für sein Vermögen.

Es gibt einige unterschiedliche Schätzungen über die Kosten, die die Nürnberger Prozesse (1945 bis 1949) verschlungen haben. Die wahrscheinliche Größenordnung, umgerechnet auf das heutige Preisniveau, dürfte zwischen 800 Millionen und einer Milliarde Euro liegen. Eingerechnet in die enorme Summe, die von den Amerikaner getragen wurde, ist auch die Jagd nach den Nazis im kollabierenden Reich. Eine Million Namen umfasste die Fahndungsliste der Siegermächte.

Selbst heute, im Zeitalter computergesteuerter Datenverarbeitung, wäre die Organisation und Durchführung eines derart monströsen Prozesses wie der gegen die Kriegsverbrecher eine logistische Herausforderung. Allein das Sitzungsprotokoll im Auftaktprozess umfasste vier Millionen Worte, maschinell niedergeschrieben auf 16.000 Seiten. Alle Dokumente, etwa 300.000 eidesstattliche Erklärungen, die Dokumentation von 240 Zeugenaussagen und 5000 Beweisanträgen, mussten in vier Sprachen (Deutsch, Englisch, Russisch, Französisch) übersetzt werden. Um alle Prozessbeteiligten stets gleichzeitig in ihrer Landessprache ohne Zeitverzögerung an der Verhandlung teilhaben zu lassen, waren Dutzende von Simultandolmetschern und eine aufwendige, von IBM kostenlos zur Verfügung gestellte Technik notwendig. Allein die Amerikaner setzten 2000 Mitarbeiter ein.

Renovierung des Gerichtsgebäudes kostete eine Million Dollar

Im Sommer des Jahres 1945 legten sich die vier Siegermächte auf Nürnberg als Gerichtsort fest. Sicherlich wurde die „Stadt der Reichsparteitage“ und der „Nürnberger Gesetze“, die die Grundlage für die Verfolgung und Ausrottung der Juden legten, auch wegen ihrer Symbolkraft gewählt. Vordergründig spielte aber der Umstand, dass der riesige Gebäudekomplex nahezu unversehrt geblieben war, die entscheidendere Rolle. Um die Rahmenbedingungen für das Verfahren zu schaffen, waren dennoch erhebliche Mühen nötig. Eine Million Dollar verschlangen die Renovierungskosten und die Anschaffung diverser Materialien: etwa 335.000 Meter elektrische Kabel, 10.000 Glühbirnen, 3000 Pfund Nägel, 20.000 Dachziegel, 100.000 Backsteine, 258.000 Pfund Zement, 4500 Quadratmeter Glas.

Die Heerschar an Sekretärinnen, die für die Abwicklung der Schreibarbeiten eingesetzt waren, ertrank nahezu in den Unmengen von Papier. Allein die Abfallprodukte nicht mehr brauchbarer oder fehlerhafter Seiten war derart groß, dass sogar Entsorgungsprobleme entstanden. Kurt Klutentreter, der in Muggenhof wohnte und oft am nahe gelegenen Gerichtsgebäude in der Fürther Straße vorbeiflanierte, konnte die Mühen bei der Beseitigung der Papierberge tagtäglich beobachten. Die GIs verbrannten den Papierabfall vor der Justizpalast in großen 200-Liter-Fässern.

Klutentreter erkannte sofort das Potenzial des aussortierten Abfalls. Papier war in der unmittelbaren Nachkriegszeit so gut wie nicht erhältlich und damit äußerst wertvoll. Mit Verhandlungsgeschick und Hartnäckigkeit schaffte er es, die Amerikaner davon zu überzeugen, ihm die Entsorgung der Papierberge zu überlassen. Daraus fertigte er Pappe, die ihm regelrecht aus den Händen gerissen wurde. Es wurde das Geschäft seines Lebens.Helmut Reister

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