Misshandlungen in Nürnberg? Ermittlungen gegen JVA-Mitarbeiter

München – Nach massiven Folter- und Misshandlungsvorwürfen gegen Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt Augsburg-Gablingen kommen jetzt auch in Nürnberg Anschuldigungen gegen JVA-Angestellte ans Licht. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen mehrere Mitarbeiter der Haftanstalt in der fränkischen Metropole. Auch das Innen- und Justizministerium wurden auf die angeblichen Vorkommnisse hingewiesen.
Hintergrund ist ein Bericht der "Nürnberger Nachrichten". Darin spricht ein früherer Gefangener von einem psychisch instabilen Mithäftling, der mehr als zwei Wochen in einem besonders gesicherten Haftraum (bgH) – also einem isolierten "Bunker" – eingesperrt und misshandelt worden sein soll.
Über die 14 Tage soll der Betroffene nur Brot mit einer Scheibe Wurst als Nahrung bekommen haben. Zudem soll er keine psychologische Betreuung erhalten haben. Letztlich habe der Mann die Wände der bgH-Zelle mit seinem Kot beschmiert.
Zeuge hat sich an Ministerpräsident Markus Söder und Justizminister Georg Eisenreich gewandt
Von seinen Wahrnehmungen soll der Zeuge der Polizei, Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und seinem Parteikollegen und Justizminister Georg Eisenreich – als der Skandal in Gablingen noch nicht bekannt war – berichtet haben.

Das Innenministerium kann sich zu den Vorwürfen aufgrund des laufenden Ermittlungsverfahrens in der Öffentlichkeit nicht äußern, heißt es auf Anfrage der AZ. Auch Eisenreich und das von ihm geführte Justizministerium wollen zu derartigen "Einzelfällen" keine Stellung beziehen.
Bisher sei nur eine Mitteilung einer Person vom 1. November mit Bezug zur Nürnberger JVA eingegangen. Ein weiteres Schreiben von letzter Woche werde gerade noch untersucht.
Prinzipiell stellt das Justizministerium auf AZ-Anfrage fest: "Ermittlungen wie im Fall der JVA Gablingen, die sich gegen eine Gruppe von Bediensteten und gegen eine stellvertretende Leiterin richten, sind zu anderen Justizvollzugsanstalten nicht bekannt."
Staatsanwaltschaft gibt Einblick: Drei Strafanzeigen und Ermittlungen gegen Unbekannt
Mehr ins Detail gehen die Ermittler von der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth. Insgesamt liegen drei Strafanzeigen gegen Mitarbeiter der Haftanstalt vor, bestätigt die Behörde auf AZ-Anfrage. Sie sollen von ehemaligen Gefangenen sowie noch inhaftierten Personen stammen.
Eingegangen seien die Meldungen im letzten halben Jahr. Die Vorwürfe: Körperverletzung, Nötigung und Beleidigung. Zum Teil reichen die Vorfälle mehr als vier Jahre zurück. Tatverdächtige kann die Behörde noch nicht ausmachen. Aktuell wird noch gegen Unbekannt ermittelt. Weitere Informationen könne man aus ermittlungstaktischen Gründen nicht nennen. Für die Mitarbeiter gilt die Unschuldsvermutung.
Sondersitzung des Anstaltsbeirats am Montag könnte Erkenntnisse liefern
Für Aufklärung soll eine Sondersitzung des Anstaltsbeirats am Montag sorgen. Die CSU-Landtagsabgeordnete Petra Guttenberger ist Vorsitzende des Gremiums und will an mehr Informationen gelangen. "Bisher habe ich in den Sitzungen noch nie etwas über bgH-Räume und Misshandlungen gehört", sagt sie im Gespräch mit der AZ.
Den Strafverteidiger Johannes Makepeace aus München überraschen die Vorwürfe in Gablingen und Nürnberg nicht. Auch er hätte über Mandanten von "besonders harten und unverhältnismäßigen Verhaltensweisen" gehört. Verteidigungsunterlagen seien durchgeblättert worden und Gefangene in der kalten Jahreszeit nach dem Hofgang "vergessen" worden.
Strafverteidiger aus München bewertet aktuelle Rechtslage als "schwammig"
Seiner Meinung nach sind die gesetzlichen Vorgaben mit Blick auf die besonders gesicherten Hafträume "schwammig". Laut dem Bayerischen Strafvollzugsgesetz gibt es unter anderem kein zeitliches Limit für den Aufenthalt im "Bunker". Auch Anwälte der Betroffenen müssten nicht informiert werden, sagt der Strafverteidiger. Gefangene sollen lediglich "möglichst täglich" von Ärzten aufgesucht werden.
Grundsätzlich kritisiert er, dass es zu wenig Rechtsschutz für die Gefangenen gibt. "Das System schützt sich selbst", sagt Makepeace. "Da es sich bei allen besonderen Sicherungsmaßnahmen um ganz gravierende Grundrechtseingriffe handelt, die erheblich über die normale Haft hinausgehen, fordere ich, einen zwingenden Richtervorbehalt einzuführen."
Das fordert ebenso Pascal Décarpes, Kriminologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter. Mit der unabhängigen Einrichtung kontrolliert er die Zustände in den Gefängnissen und ist dabei auch auf Haftanstalten aufmerksam geworden, die Gründe für eine Haft im "Bunker" nicht immer im Detail dokumentieren, sagt er zur AZ.
Landtag diskutiert über mögliche Gesetzesreform
Henning Müller, Rechtswissenschaftler von der Universität Regensburg, hält eine genauere Dokumentation solcher Inhaftierungen ebenfalls für sinnvoll – auch weil der Aufenthalt in bgH-Zellen keine Bestrafung sei. "Gefangene müssen sofort aus dem Haftraum raus, wenn keine Suizid- oder Fremdverletzungsgefahr mehr besteht", sagt er zur AZ.
Mittlerweile diskutiert auch der Bayerische Landtag über eine mögliche Reform der Rechtslage. Die CSU und das Justizministerium "sympathisieren" mittlerweile mit der Idee eines Richtervorbehalts, geht aus einer Mitteilung hervor.
Der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Tobi Schuberl, will noch einen Schritt weitergehen. "Wir brauchen eine Änderung des Bayerischen Justizvollzugsgesetzes, so bald wie möglich", sagt er zur AZ. Die Unterbringung im bgH dürfe immer nur das letzte Mittel sein und müsse konsequent überwacht werden.