Missbrauch in der Kirche: Grüne üben Kritik an der Staatsregierung

München - Richard Kick ist es gewöhnt, auf Granit zu beißen. Der Sprecher des Betroffenenbeirats für sexuellen Missbrauch in der Erzdiözese München und Freising hat selbst Schlimmes erlebt. Die Kirche hat seinen Täter gedeckt, wie viele andere, und sperrt sich gegen die Aufklärung. Das ist die eine Seite. Die andere: Wie kann es sein, dass reihenweise Kinder missbraucht werden – und der Staat unternimmt nichts dagegen?
"Kindesmissbrauch ist keine religiöse Angelegenheit"
Die Politik wollte lange nichts von dem Thema wissen – bis vor Kurzem. "Die Grünen sind die erste politische Gruppe, die Betroffene einlädt und anhört", sagt Kick.
Die Fraktion will die Rolle des Staates beim Missbrauch in der Katholischen Kirche klären. Schon jetzt ist für Gabriele Triebel, Sprecherin für Religion, klar: "Wenn die Kirche systemisch versagt, dann kommt der Freistaat ins Spiel." Eine ungerechtfertigte Sonderstellung der Kirche sieht auch Toni Schuberl, rechtspolitischer Sprecher: "Kindesmissbrauch ist keine religiöse Angelegenheit."
Die Aufklärung erfolgt derzeit nur ehrenamtlich
In der Tat ist es so, dass sich derzeit Ehrenamtliche in den Unabhängigen Kommissionen um die Aufarbeitung des vielfachen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen kümmern. Daran stört sich Kick massiv: "Ein ehrenamtlicher Haufen von Rentnern, die sich zweimal jährlich treffen." Auch die Unabhängigkeit stellt er infrage.
Die Grünen wollen die Kommissionen daher neu gestalten, so dass der Staat in der Verantwortung ist. Außerdem soll, wie im Missbrauchsgutachten empfohlen, eine unabhängige Ombudsstelle für Geschädigte zur effektiven Wahrnehmung der Belange der Betroffenen entstehen.
Ein Gegenentwurf zur derzeitigen Lage, bei der die Kirche ihren eigenen Missbrauchsskandal aufklärt. Außerdem fordern die Grünen eine Studie, in der alle kirchlichen Einrichtungen auf Missbrauch hin untersucht werden. Zwar hat die Erzdiözese München und Freising ein umfassendes Missbrauchsgutachten in Auftrag gegeben. Nur bezieht es sich lediglich auf Pfarrer und eventuell noch auf Mitarbeiter der Erzdiözese.
Betroffener wünscht sich Untersuchung wie in Spanien
"Aber was ist mit den Heimen, Schulen, Orden und Klöstern?", fragt Richard Kick. Außerdem sollen auch Fälle von psychischer und physischer Gewalt untersucht werden, findet er und verweist auf andere Länder. In Spanien etwa klärt die Justiz den Missbrauch an Kindern in der Katholischen Kirche umfassend auf.
Grüne: CSU zeigt kaum Interesse an kirchlichen Missbrauchsfällen
Es klingt wie eine Mauer des Schweigens, auf die Kick gestoßen ist. "Schwarze Löcher" nennt er das Sozial- und das Kultusministerium. Auch für die frühere Justizministerin Beate Merk (CSU) und ihren Nachfolger Winfried Bausback (CSU) hat er kein Lob. Immerhin: Georg Eisenreich (CSU) habe sich viel Zeit genommen, sagt Kick.
"Es drängt sich hier schon der Eindruck auf, dass die CSU kein gesteigertes Interesse hatte, Licht in diese dunkle Seite der Kirche zu bringen", sagt Triebel. Darüber hinaus steht besonders eine Frage im Fokus der Grünen: Hat Lorenz Wolf Einfluss auf die Staatsregierung gehabt? Der frühere Offizial der Erzdiözese München soll laut Missbrauchsgutachten Täter geschützt und ihnen so weitere Übergriffe ermöglicht haben. Er war daraufhin von allen Ämtern zurückgetreten. Tatsächlich war er durch seine Funktion als Leiter des Katholischen Büros Bayern und als Vorsitzender des Rundfunkrates politisch bestens vernetzt.
Verbesserungsbedarf seitens des Staates
"Der Staat hat jahrzehntelang versagt", resümiert Schuberl. "Was wäre denn passiert, wenn bei Siemens und BMW jahrelang Mitarbeiter missbraucht worden wären?", fragt sich Kick. Nach jedem Zugunglück unternehme der Staat mehr für die Opfer als beim Thema Missbrauch.
Die Staatsregierung weist die Vorwürfe zurück: Kirchen- oder Kultusaufsicht sei keine staatliche Aufgabe. Dass es seitens des Staats Verbesserungsbedarf gibt, bemerkten hingegen die Autoren des Missbrauchsgutachtens: "Nach wie vor bestehende Vorbehalte gegen die mit einer ,Kirche der Liebe und Barmherzigkeit’ nicht beziehungsweise nur schwer zu vereinbarende rechtliche Überformung kirchlichen Handelns müssen endgültig und in allen Bereichen überwunden werden."