Meryl Streeps Schritte kommen von einem Allgäuer Bauernhof
Was für ein Chaos scheint in diesem alten Bauernhof in Arlesried im Unterallgäu zu herrschen: Überall liegen aufgeschnittene Kokosnüsse, vertrocknete Bananenschalen, zerknüllte Tonbandreste herum, dazwischen stehen hochmoderne Mischpulte, Mikrophone und riesige Flachbildschirme.
Arlesried - Dies ist das Reich von Joo Fürst, eigentlich von Berufs wegen ein gefragter Filmmusiker. In seiner „Klangwerkstatt“ bei Mindelheim aber erzeugt er Geräusche für Filme. Ob für einen „Tatort“ oder für Kinofilme wie „Der Bewegte Mann“, „Der Bader Meinhof Komplex“, „Keinohrhasen“ oder „Das Geisterhaus“, Joo Fürst lieferte unzählige Geräusche.
„Mit Realität hat das, was ich hier tue nichts zu tun und trotzdem spiegelt es uns genau das vor“, erzählt er. Das Öffnen eines Kühlschranks, das Abstellen eines Glases, das Rütteln an einem Gefängnisgitter, der Sound eines Autounfalls: All diese Geräusche erzeugt Fürst auf völlig andere Weise, als das Gehör des Zuschauers es wahrnimmt.
Meryl Streep war „schön zu laufen“
„Hören Sie mal“, sagt Fürst, greift zu einem Gewebe-Klebeband und zieht einen Streifen ab. Wenn man die Augen schließt, hört man einen Mann kraftvoll in einen Apfel beißen. Die größte Herausforderung für den 51-Jährigen sind Schritte.
„Das ist mein Lieblingsschuh“, sagt der Klangkünstler, greift zu einem etwas aufgeschnittenen, mit Nägeln versehenen schwarzen Exemplar und streut Sand auf eine Betonplatte. „Die Meryl Streep ist schön zu laufen“, erklärt Fürst, während er in den Schuh schlüpft und mit einem locker schwingenden Bein auf der Stelle tritt. Es klingt tatsächlich wie die berühmte Schauspielerin in High Heels.
Die wahre Herausforderung ergibt sich für Fürst vor allem in Filmszenen, in denen im Normalfall gar keine Schritte zu hören wären. Wenn in „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ die Frau bei eisigem Wind weit draußen in der Schneewüste steht, würde man im realen Leben nur den Wind pfeifen hören. U
m die Illusion des Filmes zu vermitteln, muss Fürst hörbar durch die Eiseskälte gehen. Um jeweils das perfekte Schrittgeräusch zu erzeugen, ist er bestens ausgerüstet: Alte Turnschuhe, Herrenhalbschuhe, abgesägte Damenschuhe, Badelatschen – alles Mögliche liegt in seiner Werkstatt.
Vertrocknete Bananenschalen und zerknülltes Tonband
Der Geräusche-Nachmacher verwendet auch viele Dinge des täglichen Lebens, um damit völlig unerwartete Geräusche aufs Band zu zaubern. Ein Streifen mit Vitaminpillen richtig gedrückt – fertig ist das Brutzeln von heißem Fett in einer Bratpfanne. Die alte, vertrocknete Bananenschale ist der brechende Ast.
Oder der Klassiker: Mithilfe von zwei Kokosnuss-Hälften galoppieren Pferde herum. Realistisch klingen auch die Schritte durch Schilf. Schnelle Schritte auf der Betonplatte ergänzt Fürst dabei mit dem Zerknüllen eines Tonbands. Der Filmmusiker kam durch einen Zufall zum Geräusche-Nachmachen, wie er erzählt.
Eigentlich spielte und komponierte er Filmmusik. Während der Arbeiten zu einem Streifen fehlte ein Geräusch. Um es zu erzeugen, durfte er einem „Altmeister“ über die Schulter schauen und von ihm lernen. Sein erstes, selbst nachgemachtes Geräusch war dann das Öffnen einer Coladose.
Heute ist Fürst selbst ein Profi und seine Künste sind gefragt. Aktuell arbeitet er an einem neuen Sönke-Wortmann-Film. „Das Hochzeitsvideo“ wird er wohl heißen, wenn er im Sommer in die Kinos kommt. Er zeigt eine unglaublich lange Pinkelszene mit einigen Studenten. Auch dieses Geräusch kommt aus Fürsts Werkstatt.
Der Klangmeister füllt dazu Wasser in eine Flasche und lässt immer wieder ein paar Tropfen auf eine Steinplatte rieseln – auf dem Bildschirm nebenan läuft die Szene mit. Nun wundert es nicht mehr, wie lange betrunkene Studenten pinkeln können.
- Themen:
- Meryl Streep