"Mehrere CSU-Politiker suchten derartige Kontakte": Bayerns Gastfreundschaft für Diktatoren
AZ: Herr Bösch, Bayern scheint in der Vergangenheit ein besonders guter Gastgeber für Autokratien gewesen zu sein – warum eigentlich?
FRANK BÖSCH: Bayern startet eine Nebenaußenpolitik, um die heimische Wirtschaft zu fördern. Dabei erwies sich besonders Franz Josef Strauß als sehr pragmatisch, der von sozialistischen Diktaturen wie China bis hin zu rechten Militärdiktaturen wie in Chile einen engen Kontakt gehalten hat. Für Strauß gab es weniger Bedenken bei Menschenrechtsverletzungen. Es gab dafür aber ein großes Interesse, den Handel voranzubringen und sich als eigenständiger Außenpolitiker zu positionieren, auch im Hinblick auf eine mögliche spätere Kanzlerschaft.
Historiker Frank Bösch: "Diktatoren kamen zum Urlaub oder zur Kur privat nach Bayern"
War also nur eine Person die treibende Kraft, oder gab es noch mehr, das Bayern attraktiv gemacht hat für die Autokraten?
Mehrere CSU-Politiker, auch Ministerpräsidenten wie Alfons Goppel, suchten derartige Kontakte. Zweitens war Süddeutschland auch touristisch sehr anziehend, und Diktatoren kamen zum Urlaub oder zur Kur privat nach Bayern. Drittens wollte die Bundesregierung, vor allem die sozialliberale in den 1970er Jahren, viele Diktatoren nicht mehr treffen. Die schoben die Besucher regelrecht nach Bayern ab. Der vierte Grund ist, dass Bayern zunehmend ein wichtiger Industriestandort wurde. Unternehmen wie Siemens, MBB oder BMW wurden gezielt aufgesucht, neben den großen Unternehmen im Ruhrgebiet wie Thyssen-Krupp. Die CSU versuchte sich als Staatspartei zu profilieren und machte das sehr pragmatisch. In Erinnerung geblieben ist etwa der opulente Empfang für den DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker 1987. Auch ideologisch wurde flexibel empfangen.

"Franz Josef Strauß war der erste bundesdeutsche Politiker bei Mao"
Wie gestaltete Strauß seine sogenannte Nebenaußenpolitik, und wie erfolgreich war diese?
Strauß empfing nicht nur in Bayern, sondern reiste auch wie ein Außenpolitiker, auch als er noch nicht Ministerpräsident war. Strauß war etwa der erste bundesdeutsche Politiker, der Mao traf, bereits 1975. Er versuchte, sich hier als Staatsmann zu profilieren, der eigene Akzente setzt – also eine Fernostpolitik neben der Ostpolitik der SPD-Bundeskanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt. Strauß war vergleichsweise erfolgreich, weil er so auch im Ausland bekannt wurde, ebenso wie bayerische Unternehmen. Er förderte enge Kontakte auch zu Autokratien in Afrika und Lateinamerika. Weil Strauß Menschenrechtspolitik dort weniger problematisierte, erntete er auch massive Kritik, vor allem an seiner Chilereise von 1977, an seinen Südafrika-Kontakten und seiner Reise in Griechenlands Diktatur.

Auf lange Sicht hat das alles dem Image von Bayern aber nicht geschadet, oder?
Nein, wirtschaftlich hat es das Land vorangebracht. Was das moralische Ansehen angesichts der zunehmenden Bedeutung von Menschenrechten betrifft, hat es allerdings auch Kritik gefördert. Dass einzelne CSU-Politiker nicht nur Pinochets Regime, sondern auch Chiles Colonia Dignidad verteidigten, eine Sekte mit Folterzentren und Kindesmissbrauch, erscheint besonders problematisch.

"Weiterhin gilt, dass die CSU Menschenrechten nicht ganz so hohen Stellenwert einräumt"
Wie muss man die bayerische Regierungspolitik in den letzten Jahren bewerten – ist da ein deutlicher Bruch mit der Politik, wie Strauß sie betrieben hat?
Auch bei der CSU haben die Menschenrechte an Bedeutung gewonnen – da gibt es durchaus eine Veränderung. Aber weiterhin gilt, dass die CSU Menschenrechten nicht ganz so hohen Stellenwert einräumt und auch etwa mit sozialistischen Diktaturen wie China eng kooperiert, wie Söders Besuch dort gerade unterstrich.
Welche Rolle spielte die NS-Vergangenheit für den Umgang mit Diktaturen?
Viele Nationalsozialisten suchten nach 1949 in Diktaturen gezielt einen Neuanfang, etwa in Argentinien, Francos Spanien oder im Nahen Osten. Im Nationalsozialismus geprägte Eliten, die sich zur Demokratie hingewendet hatten, brachten nun als Diplomaten oder Politiker durchaus Verständnis für rechte Militärdiktaturen auf. Viele bundesdeutsche Botschafter in Diktaturen sahen damals die dortigen Militärputsche wie in Griechenland, Chile und Argentinien durchaus mit einem gewissen Wohlwollen oder verurteilen sie zumindest kaum.

Sie sprechen von einer "neuen imperialistischen Anmaßung", als die in den vergangenen Jahrzehnten Mahnungen an afrikanische Staaten bezüglich der Menschenrechte gesehen wurden. Wie sehr hemmt uns das auch heute noch?
Es war von Beginn an eine schwierige Frage, in welcher Weise die Bundesregierung in souveränen Staaten intervenieren sollte. Einerseits galt es in den Diktaturen als neuer Imperialismus, wenn im Namen von Menschenrechten interveniert wurde, im Extremfall sogar militärisch wie gegenüber Irak oder Afghanistan. Andererseits haben fast alle Länder die UN-Menschenrechtserklärungen unterschrieben und sich damit selbst auf deren Einhaltung verpflichtet. Das legitimiert dazu, dass Demokratien zum Schutz universaler Menschenrechte sich in anderen Ländern einmischen. Diesen Imperialismus-Vorwurf muss man aushalten, wenn Menschen geholfen werden kann.
"Man wird nicht nur mit Demokratien handeln können"
Die Autokratien werden wieder mehr. Wie sehr können Demokratien – auch angesichts der steigenden Nachfrage nach Rohstoffen – überhaupt moralisch handeln?
Ein direktes moralische Handeln in allen Bereichen des Lebens ist kaum möglich. Politik erfordert immer Kompromisse. Das gilt im Umgang mit Diktaturen besonders im Energiebereich. Aber es gibt Strategien, um die Abhängigkeit und Kooperationen mit Diktaturen zu minimieren. Der Ausbau Erneuerbarer Energien nutzt nicht nur der Umwelt, sondern reduziert auch die Abhängigkeit von Diktaturen wie Libyen, Katar oder Russland. Es gilt, Risiken zu minimieren durch Diversifizierung. Rohstoffe und Waren aus Demokratien sind allerdings oft teurer als aus Diktaturen wie China. Eine exportbasierte Industrie wie die deutsche wird sicher nicht nur mit Demokratien handeln können. Man muss bei jedem Land und jeder Konstellation überlegen, wo man Grenzen zieht: bei welchen Menschenrechtsverletzungen und bei welchen Produkten.
Sind Sanktionen wirksam?
Ich konnte zeigen, dass Sanktionen eher langfristig wirken, wenn überhaupt. Länder wie Chile, Südafrika oder die DDR wandelten sich so. Aber es bedarf einer Kooperation und eines Austausches, um überhaupt gezielte Sanktionen zu erheben. Länder, mit denen man überhaupt keine Kontakte hat, kann man nicht sanktionieren. Solche Länder werden sich abschotten wie Nordkorea und sich nicht verändern. Sanktionen sollten gezielt mit punktuellen Forderungen verbunden sein. Viele Sanktionen, wie etwa gegen Iran und Russland, scheitern daran, dass nur ein Teil der anderen Länder sich daran beteiligt und sie so umgangen werden.

Wandel durch Handel – das bringt also doch etwas?
Einen gewissen Wandel gibt es bei einem engen Austausch. Das Gegenbeispiel ist China, das sich politisch verhärtet hat. Aber selbst in China oder Vietnam entstand ein kultureller Wandel, mehr Freiheiten im Alltag, mehr Austausch mit dem Westen. Gegenüber Maos abgeschotteter Gewaltherrschaft in den 1950/60er Jahren ist das ein Fortschritt.
Frank Bösch ist Professor für Europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts an der Universität Potsdam und Direktor des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung.
Sein Buch: "Deals mit Diktaturen. Eine andere Geschichte der Bundesrepublik", C.H.Beck, 622 S., 32 Euro
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